Urteil des Landessozialgerichts: Unwirksam
Berliner Wohnkosten-Verordnung für Hartz-IV-Empfänger
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in Potsdam hat mit Urteil vom 25. April 2013 (Az. L 36 AS 2095/12 NK) die Berliner Wohnkosten-Verordnung für unwirksam erklärt, weil sie gegen höherrangiges Recht verstößt. Zu den hauptsächlichen Kritikpunkten des Gerichts zählten die Werte für Heizkosten, so der Vorsitzende Richter Wolfgang Düe bei der Urteilsverkündung. Außerdem enthält die Verordnung zu viele Ausnahmeregelungen für Härtefälle.
Eine Berliner Hartz-IV-Empfängerin und ihr Kind hatten einen sogenannten Normenkon-trollantrag gestellt, mit dem die gesamte Verordnung auf den Prüfstand gestellt wurde. Kritiker sehen sich in dem Urteil bestätigt.
Missbrauchsgrenze zu hoch und zu viele Ausnahmeregeln
Es seien keine angemessenen Heizkostenwerte ermittelt worden, monierte das Gericht. Stattdessen habe die Verwaltung eine Missbrauchsgrenze herangezogen. Diese sei systematisch zu hoch, so der Vorsitzende Richter. Egal, ob eine Familie nur 20 oder 30 Euro für Heizkosten benötige, bekomme sie 100 Euro, wenn dieser Wert für ihre Wohnungsgröße festgelegt wurde. Der Missbrauchswert verzerre den Richtwert für die Bruttowarmmiete so sehr, dass sie keinen Bestand mehr habe. Dieser Fehler ist aus Sicht des Gerichts so schwerwiegend, dass die ganze Verordnung unwirksam ist.
Außerdem kritisierte das Gericht, dass die Verordnung zu viele Ausnahmeregelungen, etwa für Schwangere und über 60-Jährige, enthält. In der Verordnung dürfen aus Sicht des Gerichts nur abstrakte, angemessene Werte stehen. Härtefälle müssen einzelfallbezogen geprüft werden. Die Berliner Verordnung sieht stattdessen prozentual erhöhte Zuschüsse für einzelne Problemfälle vor.
Unwirksam ist das Urteil laut Gericht nur aus methodischen Gründen. Wie hoch die Leistungssätze künftig sind, muss die Verwaltung prüfen. Das Land Berlin kann nun Revision gegen das Urteil einlegen. Es ist noch nicht rechtskräftig.
Pauschalen bei Heizkosten sind gegen geltendes Recht
Die Richtsätze in der Verordnung seien nicht geeignet, eine angemessene Wohnraumversorgung für einkommensschwache Haushalte zu gewährleisten, kommentiert der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild, die Entscheidung. Insbesondere der Bezug auf Pauschalwerte bei den Heizkosten verstoße gegen geltendes Recht. »Der Senat müsse nun schleunigst handeln und eine neue Verordnung mit höheren Richtsätzen, die auch die Heizkosten gebührend berücksichtigen, erlassen«, forderte Reiner Wild.
Bereits im Februar hatte das Berliner Sozialgericht in einer Entscheidung zu einem Einzelfall die Verordnung kritisiert. Aus Sicht des Gerichts waren die Richtwerte nicht schlüssig. Laut Senatsverwaltung für Soziales ist auch dieses Urteil noch nicht rechtskräftig, weil das Jobcenter Berufung eingelegt hat.
Reaktion des Senats: Verordnung gilt weiterhin
Nach dem aktuellen Urteil kündigte Berlins Senator für Gesundheit und Soziales, Mario Czaja (CDU), an: »Die Verordnung wird in Berlin weiterhin angewendet. Das Urteil ist aktuell noch nicht rechtskräftig. Wir werden die Verordnung höchstrichterlich prüfen lassen.« Eine endgültige Entscheidung, ob Revision eingelegt wird, werde erst nach Eingang der schriftlichen Urteilsbegründung getroffen.
Unterdessen fordern Sozialverbände, dass jetzt unverzüglich Rechtssicherheit geschaffen werden müsse und man nicht auf dem Rücken der Betroffenen durch die Instanzen klagen dürfe. Denn die in der Verordnung festgelegten Höchstsätze für Mieten und Heizkosten liegen deutlich unter denen verfügbarer Wohnungen auf dem Berliner Immobilienmarkt.
Die Folgen der Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg können einerseits eine Erhöhung, andererseits aber auch eine Senkung der Zuschüsse für Hartz-IV-Empfänger zur Folge haben. dpa/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.