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Ein Exit ist keine Antwort

Bei aller Kritik am Euro: Nicht die Währung an sich ist schuld am Desaster, meint Christa Luft

  • Christa Luft
  • Lesedauer: 7 Min.

Die schwerwiegenden Konstruktionsfehler der Europäischen Währungsunion und die verheerenden Folgen neoliberaler Euro-»Rettungspolitik« sind hinreichend analysiert und unter Linken nicht strittig. Niemand aber kann mit Gewissheit sagen, ob die Gemeinschaftswährung überleben oder die Euro-Zone durch Ausstieg einiger von der Krise besonders betroffener südeuropäischer Länder auseinanderbrechen bzw. komplett zerfallen wird. Heiner Flassbeck und sein griechischer Ökonomenkollege Costas Lapavitsas sahen jüngst den Euro »vor der Entscheidung« und sprachen mit eher skeptischem Unterton von einer »letzten Chance«. Die sieht Oskar Lafontaine zum Beispiel nicht mehr. Die Diskussion nimmt also auch unter Linken Fahrt auf.

Alle, die sich daran beteiligen, sollten beachten, dass Geldfragen nicht nur in Wissenschaft und Wirtschaft von Interesse sind, sondern den Nerv breiter Bevölkerungsschichten in allen Ländern berühren. Deshalb gilt es, mit Äußerungen zum Thema weder Illusionen zu wecken, noch Beunruhigung zu stiften. Nicht nur weitere Maßnahmen zur Euro-Stabilisierung, sondern auch Ausstiegswege wären mit unkalkulierbaren Belastungen verbunden.

Illusionen weckt die Annahme, mit dem »kontrollierten« Ausstieg aus dem gemeinsamen Geld und der Rückkehr zu nationalen Währungen käme man den Krisenursachen leichter bei als in einer Union von 17 Ländern. Nichts wäre damit an der vorherrschenden neoliberalen Politik, an den Verteilungs- und politischen Kräfteverhältnissen geändert. Nichts würde die Wiedereinführung nationaler Währungen an den weltweit aufgeblähten, spekulationstreibenden, aufs Neue Krisen generierenden Finanzvermögen ändern. Etwa 200 Billionen US-Dollar suchen gegenwärtig profitabelste Anlage. Ob dieser Moloch sich bei einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone leichter bändigen ließe als bei hartnäckigen Bemühungen um gebündelte Anstrengungen, darf bezweifelt werden. Der Neoliberalismus hatte seinen vermeintlichen Siegeszug schon vor der Einführung des Euro begonnen und würde seine Wirkungsmacht mit dessen Auseinanderbrechen nicht automatisch verlieren. Linke müssen auch in dieser Frage zur Aufklärung, zur ökonomischen Alphabetisierung der Massen beitragen.

Häufig heißt es, die Rückkehr zu eigenem Geld würde den südeuropäischen Krisenländern die Chance zur exportverbilligenden Währungsabwertung und damit zur Generierung zusätzlicher Einnahmen bieten. Theoretisch stimmt das, wie aber sieht es praktisch aus? Was soll zum Beispiel Griechenland in absehbarer Zeit mehr exportieren, selbst wenn es billiger anbieten könntet? Die bitter nötige Strukturveränderung in der Wirtschaft, die Erhöhung ihrer Produktivität als Voraussetzung für die nachhaltige Kostenreduzierung statt abwertungsbasierter Angebotspreissenkung sind damit nicht auf den Weg gebracht, ebenso nicht die Abstellung von Mängeln in der staatlichen Verwaltung. Auch würden sich dringende Importe an Grundstoffen, Hochtechnologien, auch Konsumgütern deutlich verteuern. Es käme zu einer importierten Inflation, die letztlich ähnliche Reallohnsenkungen bewirkt wie die von der Troika diktierten Sparprogramme. Eine Abwertung löst auch das Schuldenproblem nicht, es sei denn, sie könnte mit einem drastischen Schuldenschnitt verbunden werden. Das wiederum dürfte heftige Konflikte mit den Ländern hervorrufen, die hohe ausstehende Forderungen haben und zu einem Absturz der gesamten Euro-Zone mit Einkommensverlusten der Bevölkerung und steigender Arbeitslosigkeit führen, worauf Rudolf Hickel zu Recht hinweist.

Zu thematisieren gilt es, dass eine Rückkehr zu nationalen Währungen zu einer stark aufwertenden D-Mark führen würde. Die Folge wären massive Forderungen aus der deutschen Wirtschaft nach »alternativloser« Lohnzurückhaltung und weiteren knebelnden Arbeitmarktreformen , um einer Exportverteuerung entgegenzuwirken. Die kapitalhörige deutsche Politik würde dem Lohn- und Sozialdumping als beliebtem neoliberalen Wettbewerbsfaktor mit einer »Agenda«-Neuauflage Vorschub leisten, die die berüchtigte Agenda 2010 in den Schatten stellen könnte.

Auf solche wie die genannten Probleme ist auch der Vorschlag von Oskar Lafontaine keine Antwort. Er plädiert für den unter anderem von der EZB begleiteten »kontrollierten« Euro-Ausstieg der südeuropäischen Krisenländer und die Rückkehr zum Europäischen Währungssystem der Vor-Euro-Zeit. Also jedes Land hat seine Währung, die in festzusetzenden Austauschverhältnissen an andere gekoppelt ist, um Kursausschläge zu unterbinden. Eine demokratisch kontrollierte oder zumindest legitimierte Institution soll zu monetären Interventionen verpflichtet sein, die die europäische Wirtschaft stabilisiert und sie vor den chaotischen Finanzmärkten schützt.

Aber lässt sich die Uhr der Geschichte einfach zurückdrehen? Wer definiert, was ein angemessener Wechselkurs ist, würde sich nicht doch wieder das europäische Währungskasino für Hedgefonds und sonstige Spekulanten öffnen, wie Peter Bofinger fürchtet? Wie kann ein D-Mark-Imperialismus verhindert werden, wer garantiert, dass in der EZB dann nicht wieder einzig das Preisstabilitätsdogma der Bundesbank Oberhand gewinnt, welche realistische Aussicht besteht für die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen? Wieso sieht Oskar Lafontaine bei solchen Fragen mehr Einigungschancen als bei der bislang nicht gelungenen Erreichung einer in der Euro-Zone abgestimmten produktivitätsorientierten Lohnpolitik als tragfähiger Basis für einen Bestand des Euro?

Zu wenig im Blick ist bisher bei den Befürwortern der Währungsrenationalisierung, was der Ausstieg aus dem Gemeinschaftsgeld für die Lösung von Jahrhundertaufgaben in Europa bedeutet: für die gemeinsame Hinwendung zu erneuerbaren Energien, für entschiedene Fortschritte beim Klimaschutz, für die Schaffung existenzsichernder Beschäftigung, die Drosselung der Überakkumulation von Kapital, die Regulierung der Finanzmärkte, den Stopp des weiteren Verfalls demokratischer Beteiligung usw. Ich halte Elmar Altvaters Einwand für berechtigt, dass solche Aufgaben sich in einem vereinten Europa besser bewältigen lassen als in einem durch Finanzkrise und Abwertungsraserei gespaltenen und zerrütteten Europa.

Die Furcht vor Isolierung, vor Spaltung der Union scheint sich (noch jedenfalls) auch in den Reaktionen der Bevölkerung in den Krisenländern zu spiegeln. Bislang gibt es dort zwar starke Proteste, ja Generalstreiks gegen die von der Troika verordnete Austeritätspolitik, doch keine mehrheitliche Stimmung gegen den Euro. Noch wollen ihn mindestens zwei Drittel der Griechen, der Spanier, Italiener, Franzosen und Zyprioten behalten. Das kann sich natürlich ändern. Aber gänzlich unwirksam war die offene Kampfansage der Menschen dort gegen die strangulierende neoliberale Kürzungs-, Streichungs- und Privatisierungspolitik nicht. Es gab erste Schuldenstreichung (gegenüber Griechenland) und Heranziehung der Großanleger zur Rettung von Banken (Zypern. Vereinbart werden sollen gestreckte Fristen für den Defizitabbau (Frankreich, Spanien), Projekte gegen die beschämend hohe Jugendarbeitslosigkeit werden endlich Chefsache. Solche Ergebnisse gehen nicht auf von plötzlichem Altruismus getragene politische Einsichten von Merkel & Co zurück. Auch sind sie gemessen an der Strangulierung von Bevölkerung und Wirtschaft in den Krisenländern gewiss bescheiden. Doch es sind Zeichen dafür, dass Menschen nicht völlig machtlos den selbstherrlichen »Euro-Rettern« ausgeliefert sind. Es gilt also, politischen Druck von unten zu stärken gegen Austeritätspolitik und Fiskalpakt, Protestaktionen länderübergreifend zu unterstützen und vor allem die deutschen Gewerkschaften zur Aufgabe ihrer zurückhaltenden Lohnpolitik zu drängen.

Bei aller Kritik am Euro: Nicht die Währung an sich ist schuld am Desaster, sondern die neoliberale Politik. Folglich kann die Veränderung von Währungsverhältnissen auch nicht der Schlüssel für eine Wende zum Besseren sein. Notwendig sind öffentliche Investitions- und Qualifizierungsprogramme, die zukunftsfähige Wirtschaftsstrukturen hervorzubringen helfen, die Zügelung der Finanzmärkte, aber auch eine Ausgleichsunion, die Ausweitung der Binnenökonomie in Ländern mit einseitig hoher Exportorientierung wie in Deutschland, Fixierung von Obergrenzen für Leistungsbilanzüberschüsse und eine schrittweise Harmonisierung wichtiger Politikfelder. Mit geeigneten Mitteln (zum Beispiel einer europaweiten Vermögensabgabe, der Auflage mehrjähriger zinsloser bzw. gering verzinster Anleihen oder mit Stiftungsprojekten) wäre das überquellende liquide Kapital abzuschöpfen zwecks Finanzierung von Strukturreformen.

Das sind freilich Maßnahmen, die über Korrekturen innerhalb des neoliberalen Systems hinausgehen. Chancen haben sie dann, wenn zig Millionen von der Krise betroffene Bürgerinnen und Bürger in den Euro-Ländern solche Veränderungen fordern. Sie haben den Schlüssel dafür in der Hand, was aus dem Euro wird. Um ihn einzusetzen, brauchen sie plausible, realistische, Mut machende Vorschläge.
So, wie der Euro zum positiven Symbol für die europäische Integration werden sollte, würde sein Scheitern zum Negativsymbol. Ein Auseinanderbrechen der Währungsunion könnte von europafeindlichen und nationalistischen Kräften leicht instrumentalisiert werden. Ob ein Erhalt der Gemeinschaftswährung teurer wird als ihr Zerfall, ist rein ökonomisch schwer zu beantworten. Doch wären die noch nicht abzuschätzenden wirtschaftlichen Folgen vermutlich leichter zu beherrschen als die politischen.

Christa Luft war stellvertretende Vorsitzende des Ministerrates und Wirtschaftsministerin der DDR in der Modrow-Regierung und später Bundestagsabgeordnete der PDS. Lange Jahre war sie Autorin einer Wirtschaftskolumne im "neuen deutschland".

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