Kunden misstrauen dem Markt

Verbrauchertag: Sonntagsreden können die Realität nicht kaschieren

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf dem Verbrauchertag traf sich die deutsche Politprominenz, um Wahlkampf zu machen. Bislang wird der Verbraucherschutz vernachlässigt.

Alle zwei Jahre laden die Verbraucherzentralen zum »Deutschen Verbrauchertag« ein. Im Jahr der Bundestagswahl eröffnete Kanzlerin Angela Merkel am Montag den Festakt in Berlin. Am Nachmittag stellte SPD-Kandidat Peer Steinbrück seine bekannten Thesen zum Verbraucherschutz im Finanzsektor vor. Bereits vor den Sonntagsreden stand die wichtigste Erkenntnis fest: Deutschlands Verbraucher misstrauen »dem Markt«.

Noch schlechter als die Lebensmittelindustrie schneiden hier Banken und Versicherungen ab. Dies ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infas für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Zwei Drittel der Verbraucher argwöhnen demnach, dass Finanzdienstleister schummeln und betrügen. Auch dem Staat traut eine Mehrzahl nicht zu, für einen verbraucherfreundlichen Markt zu sorgen. Viele fühlen sich von den Parteien alleingelassen: Befragt, welche Partei sich besonders für Verbraucher einsetze, fiel der Hälfte keine Partei ein. Mit 25 Prozent lagen die Grünen vorne. Weit abgeschlagen schneidet die LINKE sogar noch schlechter ab als die wirtschaftsliberale FDP.

Dabei hat die schwarz-gelbe Bundesregierung bei Finanzdienstleistungen seit dem Startschuss für eine »Qualitätsoffensive Verbraucherfinanzen« zahlreiche Verbesserungen versucht: Produktinformationsblätter, Beratungsprotokolle, Regelungen zum Grauen Kapitalmarkt und zur Honorarberatung. »Stückwerk« kritisieren Experten. Und die LINKE-Verbraucherpolitikerin Karin Binder vergibt die Schulnote »mangelhaft«.

Dagegen preist Kanzlerin Merkel ihre Regelungsoffensive als Konsequenz aus der weltweiten Finanzkrise an: Anleger mussten durch zweifelhafte Beratungen erhebliche Verluste hinnehmen. Den Weg dorthin hatten schon Rot-Grün unter Gerhard Schröder und später Finanzminister Peer Steinbrück in der Großen Koalition gelegt. Um den Kapitalfluss zu erleichtern, wurden nach angelsächsischem Vorbild die Finanzmärkte liberalisiert, heikle Produkte wie Zertifikate zum Massengeschäft und ein Klima des Finanzkommerzes geschaffen. Diesem fielen ahnungslose oder gierige Verbraucher zum Opfer, Stichworte: Lehman-Zertifikate und Island-Crash.

Die Regierungen folgten überwiegend dem Leitbild des »mündigen Verbrauchers«. Angesichts der Fülle an Finanzprodukten und der Komplexität der Materie - für eine simple Sparanlage müssen Kunden einer norddeutschen Sparkasse zwölf Seiten Anhang studieren - sind die meisten aber überfordert. Dabei kann die Entscheidung für eine schlechte Baufinanzierung oder Altersvorsorge Zehntausende Euro ausmachen. »Die Politik muss einen verbindlichen Rahmen abstecken«, fordert Karin Binder, etwa der Deckelung der horrenden Überziehungszinsen von 12, 15 oder mehr Prozent.

Solange die Politik nicht bereit ist, anspruchsvolle Qualitätsstandards zu setzen und mit einem Finanz-TÜV zu überwachen, kommt unabhängiger Beratung entscheidende Bedeutung zu. Doch die Verbraucherzentralen schlagen Alarm: Ihre Kapazitäten reichten bei Weitem nicht aus, sie bräuchten dringend Geld. Seit Jahrzehnten gilt die dezentrale Verbraucherberatung als unterfinanziert. Dass es überhaupt noch ein bundesweites Netz gibt, wurde nur durch das Engagement von Verbraucherschützern wie der Hamburgerin Edda Castelló möglich, die gestern den »Bundespreis Verbraucherschutz« erhielt. »Es ist ein ungleicher und mühsamer Kampf«, sagt sie. An manchen Tagen denke sie, der Kampf mit Versicherungen und Banken sei nicht zu gewinnen. Kommentar Seite 4

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.