Lettland setzt sich ab
Riga geht es um mehr als die Gemeinschaftswährung im Jahre 2014
Freudig quittierte Olli Rehn, Vizepräsident der EU-Kommission und zuständig für Wirtschaft, Währung und den Euro, über einen Vertrauensbeweis in die gemeinsame Währung. Den verdankt die Europäische Union ihrem mit zwei Millionen Einwohnern doch recht kleinen Mitglied Lettland. Der Staat an der Ostsee offenbare mit seinem Wunsch nach Eintritt in die Eurozone den Irrtum jener, die deren Zerfall vorausgesagt hätten, triumphierte der Kommissar.
Der zur Wochenmitte vorgelegte »Konvergenzbericht« der Kommission, der die Aufnahme in die Eurozone empfiehlt, enthält eine ausdrücklich »positive Bewertung« der Wirtschaftsleistung Lettlands anhand der festen Konvergenzkriterien. In den zwölf Monaten bis April 2013 lag die durchschnittliche Inflationsrate Lettlands mit 1,3 Prozent deutlich unter dem Referenzwert von 2,7 Prozent. Die Defizitquote fiel 2012 auf 1,2 Prozent und soll bei diesem Wert bleiben, womit das Defizitverfahren gegen Lettland eingestellt werden könne. Der lettische Lats sei in den vergangenen zwei Jahren« nicht um mehr als ±1 Prozent vom Leitkurs abgewichen und »keinen Spannungen ausgesetzt« gewesen.
Die Saeima, das lettische Parlament, hatte Ende Januar 2013 dem Gesetz zur Euro-Einführung zugestimmt, das viele Einzelheiten der Umsetzung regelt. Das Abstimmungsergebnis von 52 gegen 40 Stimmen bei zwei Enthaltungen ließ allerdings nicht auf ungeteilte Begeisterung schließen. Das demoskopische Institut TNS Latvia hatte zuvor bei rund 1000 Bürgern zwischen 15 und 74 Jahren nur 35 Prozent Zustimmung für den Regierungskurs auf den Euro ermittelt. Von den Befürwortern wünschen allerdings 25 Prozent eine spätere Einführung. Als entschiedene Gegner offenbarten sich 37 Prozent.
Die Euro-Freunde freuen sich auf ein problemloses Reisegeld und setzen auf Investitionen und damit auf wirtschaftliche Entwicklung eines der neben Bulgarien und Rumänien ärmsten Länder Europas. Skeptiker hingegen trauen ebenso wenig der Stabilität des Euro wie der Entwicklung der lettischen Produktivität und fürchten Preiserhöhungen. Sie würden den Lats so gern behalten wie einst die Deutschen die D-Mark.
Das ist nicht unbegründet. Selbst die Europäische Zentralbank sorgt sich um Lettland. Da Preisniveau und Pro-Kopf-Einkommen niedriger als im Euro-Raum seien, müsse mittelfristig mit größeren Preissteigerungen gerechnet werden als im Währungsraum insgesamt, analysierten die Währungshüter. Eine wegen steigender Rohstoffpreise und Löhne anziehende Inflation könne »auch die Wettbewerbsfähigkeit der lettischen Unternehmen gefährden«.
Doch Lettland handelt nicht nur mit dem Streben in die Eurozone gegen den Trend. Das Land an der Ostsee folgt ebenso nicht allein wirtschaftlicher, sondern auch einer politischen Logik. So ist Russland mit 18 Prozent weiterhin der größte Absatzmarkt, doch bleibt es gerade mit Blick auf die gemeinsame Geschichte in der Sowjetunion ein unheimlicher Nachbar.
Das seit 1991 unabhängige Lettland ist alles andere als zufällig seit Ende März 2004 Mitglied der NATO und trat am 1. Mai 2004 der Europäischen Union bei. Der Euro ist für Lettland wie für Estland und Litauen mehr als eine Währung - er lässt das Baltikum nach Westen rücken und vergrößert die Distanz zu Russland.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.