Aufräumen in Dagestan
Verhaftung des Bürgermeisters von Machatschkala erregt Aufsehen
Said Amirow fühlte sich offenbar unangreifbar. Ohne Zögern öffnete seine Putzfrau die Tür, als vor einer Woche schwer bewaffnete Militärs der auf Terrorismusbekämpfung spezialisierten Sondereinheit OMON Einlass in seine Villa begehrten. In der Tasche hatten sie einen Haftbefehl: Amirow, Bürgermeister von Machatschkala, der Hauptstadt der Republik Dagestan, wird vorgeworfen, Drahtzieher eines Attentats gewesen zu sein, das 2011 auf einen Mitarbeiter der russischen Ermittlungsbehörde verübt wurde. Arsen Gadschibekow und Kollegen hatten mehrere Schwerverbrechen aufgeklärt, darunter einen Terroranschlag, bei dem 2010 im norddagestanischen Kisljar zehn Menschen getötet und 270 verletzt wurden.
Amirow und zehn weitere Tatverdächtige sitzen jetzt in einer Moskauer U-Haftanstalt. Er selbst leugnet alle Schuld, die Vorwürfe seien frei erfunden.
Der Fall sorgte russlandweit für Aufsehen. Amirow galt als »unversenkbar«, politisch wie physisch. Er überlebte insgesamt 15 Anschläge, gleich beim ersten in den »wilden Neunzigern« bekam er eine Kugel in die Wirbelsäule und sitzt seither im Rollstuhl. Mittlerweile 15 Jahre im Amt, wurde er 2000 zum »besten Bürgermeister Russlands« gekürt.
Zwar ist es um die Sicherheit in Machatschkala in etwa so bestellt wie in Kabul. Doch mit Amirow begann in der Stadt ein Bauboom: Einkaufszentren, Restaurants Moscheen, Leichtindustrie und ein paar gut gesicherte Märchenschlösser wie aus Tausendundeiner Nacht. Amirow soll sein eigenes - aus Sicherheitsgründen in den Fels gebaut - mit Erlösen aus dunklen Geschäften und mit »otkaty« gebaut haben. Ursprünglich bezeichnete das Wort den Rückstoß von Artilleriegeschützen. Im Neurussischen steht es für »Gebühren«, die korrupte Beamte für die Vergabe von Baugenehmigungen fordern. Amirow soll nicht nur in Machatschkala kassiert haben. Außerdem wirft die Staatsanwaltschaft ihm Drogenhandel vor.
Moskau sah dem Treiben lange zu. Zuerst gab es in Tschetschenien genug zu tun. Als die Rebellenrepublik endlich befriedet war, hatten in Dagestan nach ethnischem Prinzip organisierte Clans faktisch die Macht übernommen. Mit denen war nicht einmal die straffe Machtvertikale der Sowjetära fertig geworden. In der Marktwirtschaft mauserten sie sich zu mafiaähnlichen Strukturen, die milliardenschwere Finanzströme kontrollierten und bewegten. Die Führer legten sich kleine, aber gut bewaffnete und bezahlte Privatarmeen zu.
Moskau konnte daher nicht einmal einen neuen obersten Steuereintreiber installieren. Die Vergabe von Ämtern und damit von Pfründen regelten die Clans. Die meisten Posten griffen die Awaren ab, die mit rund 600 000 Seelen die größte von insgesamt 36 offiziell anerkannten Volksgruppen Dagestans sind. Auch Amirow wurde von den awarischen Clans ins Amt gehievt und verstand sich vor allem als Sachwalter ihrer Interessen.
Das Amt des dagestanischen Präsidenten geht traditionell an die Darginer als zweitgrößte Volksgruppe und war seit der Perestroika meist im Besitz der Familie Magomedow. Obwohl seit 2005 faktisch vom Kreml ernannt, sah sich aber auch das Republiksoberhaupt weniger als Interessenvertreter der Zentrale in Moskau denn als Vermittler im Konflikt der Ethnien um Einfluss und das knappe Land. Davon profitierten vor allem radikale Islamisten im Untergrund, deren Überfälle immer dreister wurden. Weil sie angeblich die ausufernde Korruption bekämpfen, sympathisieren viele Dagestaner mit ihnen.
Ramasan Abdulatipow, den Wladimir Putin Ende Januar zum neuen Präsidenten Dagestans ernannte, soll den Augiasstall offenbar ausmisten. Der frühere Chef des Nationalitätensowjets der damaligen RSFSR gilt als Verhandlungskünstler, kennt sich als Aware mit der Region und deren Gepflogenheiten aus und weiß daher auch das zwischen den Zeilen Gesagte richtig zu deuten. Er gilt als immun gegen Korruption und loyal dem Kreml gegenüber. Kenner raunen, Abdulatipow habe in Moskau auf Entmachtung Amirows gedrängt - auch, um anderen Paten die letzte Gelbe Karte zu zeigen. Im Nordkaukasus soll Ruhe herrschen, wenn in Sotschi im kommenden Februar die Olympischen Winterspiele stattfinden.
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