„Die Gewerkschaften müssen die Kämpfe politisieren“

Nagia Nikolaou über die Krise der Arbeitnehmervertretungen in Griechenland

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 3 Min.
Nagia Nikolaou arbeitet für das Athener Labour Centre EKA, einer Organisation, die 500 Gewerkschaften und 110.000 Mitglieder in der Privatwirtschaft vertritt. Über die Bedeutung des Alter Summits, an dessen Vorbereitung und Durchführung sich Nikolaou beteiligte, und die Situation der Gewerkschaften in Griechenland sprach mit ihr für „nd“ Katja Herzberg.

nd: Ein intensives Wochenende mit langen Debatten liegt hinter Ihnen und den Teilnehmern des Alters Summits. Sind Sie zufrieden mit dem Verlauf?
Nikolaou: Was die Teilnehmerzahl angeht nein. Wir hatten mehr Leute erwartet, insbesondere aus Griechenland selbst. Einige kleinere Gewerkschaften haben zwar den Aufruf zum Alter Summit unterstützt, sind aber nicht hergekommen. Ich glaube, das liegt daran, dass dies nicht zu ihrer Kultur gehört. Die großen Gewerkschaften verstehen sich nur als Kampforganisation für ihre branchenspezifischen Belange. Sie sehen nicht, dass Arbeiter anderer Sektoren und in anderen Ländern dieselben Probleme haben. Dabei ist es heute wichtiger denn je, dass sich Gewerkschaften an Veranstaltungen wie dem Alternativgipfel beteiligen. Denn immer mehr Menschen sind nicht mehr in den Gewerkschaften. Die Mehrheit der Arbeiterklasse in Griechenland ist nicht gewerkschaftlich organisiert. Und das wird anderen europäischen Ländern auch passieren.

Gibt es abgesehen von der Teilnehmerzahl noch andere Unterschiede zum Europäischen Sozialforum, das 2006 in Athen stattgefunden hat?
Der große Unterschied ist, dass das Ziel des Summits ist, ein Programm für die Zukunft zu entwickeln. 2006 war in vielerlei Hinsicht eine ganz andere Situation. Das Sozialforum war damals ein Event, das mit seinem letzten Tag endete. Der Alter Summit soll nicht enden. Er ist ein Experiment, um zu sehen, was wir schaffen können. Denn wir dürfen die Dinge nicht so belassen. Wir müssen etwas bewegen, wenigstens auf europäischem Niveau.

Die Zeit der Wirtschafts- und sozialen Krise ist auch für die Gewerkschaften in Griechenland eine ganz neue Situation. In Ihrer Rede am Freitag sprachen Sie davon, dass die Arbeitervertretungen schwächer werden und sich auch aus der Mobilisierung gegen die Sparpolitik herausziehen. Ist dies eine neue Entwicklung der letzten Monate?
Das ist nicht völlig neu. In den letzten ein, zwei Jahren wurde diese Schwäche aber offensichtlich, weil die sozialen Bewegungen so viel erreicht haben. Man sieht, dass es den Gewerkschaften nicht gelingt, ihre Probleme in einem Sektor mit anderen zu verbinden. Ein Beispiel der jüngsten Vergangenheit ist der Arbeitskampf der Lehrer. Die Regierung sprach Aussperrungen aus und griff damit massiv in die Rechte der Arbeiter ein. Aber die Gewerkschaften schafften es nicht, Solidarität zu organisieren. Nicht einmal der Gewerkschaftsbund des öffentlichen Dienstes unterstützte die Lehrer. Genauso wenig wie die linken Parteien, wohl bemerkt.

Was müssen die Gewerkschaften also ändern?
Sie müssen das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen. Und mehr Menschen ansprechen, vor allem Arbeitslose und prekär Beschäftigte. Sie müssen größer werden, um mächtiger zu sein. Dazu müssen die Gewerkschaften die Kämpfe politisieren. Denn momentan machen auch die großen griechischen Gewerkschaften neoliberale Politik.

Was bedeutet das für den gesamtgesellschaftlichen Widerstand gegen die Troika und die Sparpolitik?
Das ist eine sehr schlechte Entwicklung. Wir wollen das nicht. Aber dafür müssen sich zuallererst die Gewerkschaften selbst wandeln. Sie sollen nicht die Arbeiter kontrollieren, sondern die Arbeiter die Gewerkschaften.

Vor wenigen Monaten haben die Beschäftigten der Baustofffabrik Vio.Me in Thessaloniki den Betrieb selbst übernommen, nachdem der Eigentümer sie dicht gemacht hatte. Kann diese Selbstoriganisierung ein Schritt sein, die Gewerkschaften unter Druck zu setzen?
Vio.me ist ein gutes Beispiel. Es braucht Unterstützung von den Gewerkschaften, aber auch von der gesamten Gesellschaft und dem Parlament. Denn bisher ist es nur ein Experiment. Die rechtliche Grundlage für solche Kooperativen ist schwierig. Sie müsste gesetzlich geschützt werden.

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