Werbung

Weiter Weg zur Einheitsschule

GEW-Chefin Marlis Tepe setzt auf einen Politikwechsel, nicht nur im Bildungsbereich

  • Lesedauer: 3 Min.
Marlis Tepe wurde am Donnerstag mit 52,4 Prozent der Stimmen zur neuen Bundesvorsitzenden der GEW gewählt. Ihr Gegenkandidat Norbert Hocke erhielt 42,5 Prozent. Die 59-jährige Hauptschullehrerin war seit Jahren im Landesvorstand der Bildungsgewerkschaft in Schleswig-Holstein sowie als Vorsitzende des Hauptpersonalrats des Landes tätig. Mit Tepe, die für die nächsten vier Jahre an der Spitze der GEW steht, sprach Rainer Balcerowiak.

nd: Sie haben sich bei der Wahl zur Bundesvorsitzenden der GEW durchgesetzt. Haben Sie ein 100-Tage-Programm für die erste Zeit Ihrer Amtsperiode?
Tepe: In meinem 100-Tage-Programm steht die Bundestagswahl an erster Stelle. Neben unseren allgemeinen Forderungen zu einer gerechten Steuerpolitik werden wir unseren Schwerpunkt vor allem auf das Kooperationsverbot legen, welches dem Bund untersagt, die Länder bei Bildungsprojekten finanziell direkt zu unterstützen.

Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske hat Sie aufgefordert, die tarifliche Eingruppierung der rund 200 000 angestellten Lehrer mit einem Erzwingungsstreik durchzusetzen. Wollen Sie diese Anregung aufnehmen?
Natürlich müssen wir weiter Druck machen. Aber wir müssen in Ruhe überlegen, wie wir diesen Druck am besten entfalten können. In den meisten Ländern gibt es ja mehr verbeamtete Lehrkräfte als angestellte, und Beamte haben kein Streikrecht. Das wollen wir ändern und haben auch eine entsprechende Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Doch auch befristet angestellte Lehrerinnen und Lehrer haben oftmals Angst, sich an Arbeitskämpfen zu beteiligen, wie ich in Schleswig-Holstein erlebt habe. In den Ländern, wo hauptsächlich Tarifkräfte im Schuldienst sind, werden unsere Landesverbände weitere Arbeitsniederlegungen vorbereiten, wie sie in Berlin bereits durchgeführt wurden. Die vergangene Tarifrunde hat gezeigt, dass die Kampfbereitschaft hoch ist.

Die GEW wird noch immer als »Lehrergewerkschaft« wahrgenommen. Wie wollen Sie den Anspruch umsetzen, prägende gewerkschaftliche Kraft in allen Sparten der Bildung von der Krippe bis zur Hochschule zu werden?
Wenn sich solche Schlagworte in den Köpfen nicht nur vieler Journalisten festgesetzt haben, kann man nur wenig dagegen tun. Wir wollen unseren Anspruch, eine Bildungsgewerkschaft zu sein, durch konkretes Handeln untermauern und beispielsweise dem Sozial- und Erziehungsdienst eine ganz besondere Priorität einräumen. Gerade an den Schulen rücken ja die verschiedenen Berufsgruppen enger zusammen, z.B. durch die Schulsozialarbeit.

Ein zentrales Anliegen der GEW war jahrelang die Durchsetzung einer Einheitsschule bis zum mittleren Abschluss. Herausgekommen ist bislang ein Flickenteppich. Die Separierung der Schüler nach der Grundschule wurde kaum angetastet, das gilt auch für die Gymnasien. Wie wollen Sie ihr ursprüngliches Ziel erreichen?
Wir haben schmerzlich zur Kenntnis nehmen müssen, dass keine denkbare Regierungskonstellation wirklich für die eine Schule für Alle einzutreten bereit ist. Immerhin gibt es jetzt fast überall eine zweite Säule neben dem Gymnasium, die alle Schulabschlüsse ermöglichen soll und muss. Wir werden vor allem dafür kämpfen, dass diese zweite Säule besser ausgestattet wird, um diesem Anspruch auch gerecht werden zu können. Aber bis zur Überwindung des mehrgliedrigen, ständischen Schulsystems wird es noch ein weiter Weg sein, denn dies ist immer noch stark in den Köpfen verankert.

Während der Auftaktveranstaltung des Gewerkschaftstages haben einige Delegierte ihren Unmut über die wachsweiche Haltung des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer gegenüber Kriegseinsätzen der Bundeswehr zum Ausdruck gebracht. Wie stehen Sie dazu?
Mit Kampfeinsätzen können keine Konflikte gelöst werden. Die GEW hat ganz eindeutige friedenspolitische Beschlüsse gefasst, und ich werde diese Positionen auch im DGB und gegenüber Michael Sommer vertreten.

Auf dem Gewerkschaftstag wird auch noch diskutiert werden, ob die Forderung nach dem Recht auf politische Streiks in die Satzung der GEW aufgenommen wird. Unterstützen Sie dieses Anliegen?
Ganz eindeutig: Ja.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.