Zeman zieht die eigene Karte
Tschechiens Präsident nominierte Jiri Rusnok als neuen Premier
Bevor sich Miloš Zeman am Mittwoch zum Antrittsbesuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Berlin begab, ernannte der tschechische Präsident am Dienstagnachmittag den früheren Finanz- und Industrieminister Jiri Rusnok zum neuen Regierungschef. Nach dem Rücktritt des Kabinetts von Petr Necas in der vergangenen Woche soll Rusnok einer Expertenregierung vorstehen, die Tschechien bis zu den kommenden Wahlen führt.
Das ist jedoch nicht die von der bisherigen Regierungskoalition gewünschte Lösung. Zumindest die Demokratische Bürgerpartei (ODS) hätte lieber Parlamentspräsidentin Miroslava Nemcova als Chefin des Kabinetts in weitgehend unveränderter Besetzung gesehen. Präsident Zeman riskiert mit seiner Entscheidung den offenen Konflikt mit dem Parlament. Die bürgerlichen Fraktionen - ODS, TOP 09 unter Außenminister Karel Schwarzenberg und LIDEM unter der bisherigen stellvertretenden Regierungschefin Karolina Peake - haben bereits angekündigt, einem von Rusnok vorgelegten Haushaltsplan ihre Zustimmung zu versagen. Sozialdemokraten (CSSD) und Kommunisten (KSCM) hatten sich ohnehin für vorgezogene Neuwahlen entschieden. Zeman aber erklärte, die Ernennung Rusnoks sei der einzig gangbare Weg gewesen, diese Neuwahlen zu erreichen.
Der neue Premier selbst bezeichnet sich in erster Linie als Ökonom. Unter Miloš Zeman als Regierungschef (1998-2002) bekleidete er 2001 das Amt des Finanzministers. In der folgenden Regierung unter dem Sozialdemokraten Vladimir Špidla (bis 2004) war er Industrieminister. Nach der Niederlage des Kabinetts Mirek Topolanek (ODS) im Jahre 2009 wurde sein Name als der des Vizepremiers und Wirtschaftsministers einer Übergangsregierung gehandelt. Doch dann kam die Regierung unter dem parteilosen Jan Fischer. Seit 2010 ist Jiri Rusnok im Nationalen Wirtschaftsrat der Republik tätig. Im Februar desselben Jahres hatte er sich von den Sozialdemokraten abgewandt - wie drei Jahre zuvor schon Miloš Zeman, als dessen Vertrauter Rusnok gilt: Im Präsidentenwahlkampf unterstützte er den heutigen Präsidenten und war häufig an dessen Seite zu sehen.
Drei Szenarien sind nun möglich: Der neue Premier könnte seine Regierung vorstellen und das Vertrauen des Parlaments erhalten. In diesem Fall bliebe Rusnok wohl bis zu den regulären Wahlen im Mai 2014 im Amt. Wenn sich jedoch mehr als 120 Abgeordnete finden, die Rusnoks Ernennung ablehnen und für die Selbstauflösung des Parlaments stimmen, müssten binnen 60 Tagen Neuwahlen stattfinden. Falls aber drittens diese Mehrheit für eine Parlamentsauflösung verfehlt würde und Rusnok dennoch nicht das Vertrauen der Mehrheit erhielte, läge der Ball wieder beim Präsidenten. Zeman müsste einen neuen Premier nominieren.
Beobachter räumen einer Regierung Rusnoks jedoch größere Chancen ein als einer von Nemcova geführten. Es kann also sein, dass der 53-jährige Wirtschaftswissenschaftler Zeit und Gelegenheit erhält, das Land durch die politische Krise zu führen.
Zeman dankte Rusnok jedenfalls dafür, dass er das Angebot zur Regierungsbildung in dieser »sehr schwierigen Zeit« angenommen habe. Wenn er von einem Expertenkabinett spreche, sei Rusnoks Name »Beweis« dafür. Der so Gelobte kündigte an, sein Kabinett binnen zwei Wochen zu formieren. 30 Tage hat er Zeit, das Vertrauen des Parlaments zu erlangen.
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