Tumore in Leber, Blase und Niere

Der Kölner Dopinganalytiker Prof. Mario Thevis gibt einen pharmazeutischen Ausblick auf die Tour de France

  • Lesedauer: 3 Min.
Am Samstag startet die 100. Tour de France. Das Peloton wird wieder nicht komplett dopingfrei sein. Hoffen darf man dank verbesserter Testverfahren zumindest auf ein saubereres Fahrerfeld. Professor Mario Thevis, Biochemiker und Dopinganalytiker am Kölner Kontrolllabor, skizziert im Gespräch mit Tom Mustroph, welche Präparate noch nicht nachweisbar sind und welche Modemittel im Untergrund produziert werden.

nd: Wie dicht ist das Kontrollnetz? Vor einiger Zeit machte die Nachricht die Runde, dass es für mehr als 100 Varianten des Blutdopingmittels Epo keine Nachweismöglichkeiten gibt. Sind die Lücken tatsächlich so riesig?
Thevis: Nein. Das war ein Missverständnis eines Journalisten. Ich hatte in einem Vortrag auf über 100 Varianten aufmerksam gemacht. Aber tatsächlich können wir diese nachweisen. Insgesamt sind die Verfahren weiter verbessert worden. Wir können jetzt auch kleinere Epo-Mengen noch besser nachweisen. Es kommt aber immer wieder auch auf den Zeitpunkt der Kontrolle an. Wenn der gut gewählt ist, haben wir deutlich mehr Chancen, in den Urinproben fündig zu werden.

Neben Epo sind auch ganz neue Präparate im Umlauf. Kürzlich wurde der russische Radprofi Nikita Nowikow vom Profirennstall Vacansoleil mit Ostarin erwischt. Was ist das für ein Mittel?
Es gehört zur Substanzklasse der SARM, der sogenannten selektiven androgenen Rezeptormodulatoren. Sie haben ähnliche Effekte wie anabole Steroide, befördern also Muskelaufbau und Kraftzuwachs, sind chemisch aber keine Steroide. Weil uns das Missbrauchspotenzial dieser Substanzen bewusst war, haben wir seit 2006 im Rahmen der präventiven Antidopingforschung an einem Test gearbeitet und ihn auch dank der Hilfe der herstellenden Firmen verfeinert. Er ist seit 2008 im Einsatz. 2010 gab es den ersten positiven Test bei einer jamaikanischen Sprinterin. Seitdem hatten wir weitere positive Befunde. Das zeigt, dass sich Sportler des Effekts bewusst sind, aber auch, dass die Kontrollen funktionieren.

Sie scheinen auch bei GW1516 anzuschlagen. Das Präparat galt vor einigen Jahren als neues Wunderdopingmittel. 2012 wurde ein russischer Eisschnellläufer, 2013 ein halbes Dutzend Radprofis damit erwischt. Könnte GW1516 das verstärkte Auftauchen immer dünnerer Radprofis mit immer mehr Kraft für Bergsprints erklären?
An Spekulationen über Leistungen und Physis einzelner Sportler möchte ich mich nicht beteiligen. In der Tat hat sich in Tierversuchen und klinischen Testphasen an Menschen aber herausgestellt, dass GW1516 die Zahl der Mitochondrien, also der Kraftwerke der Muskelzellen, steigen lässt. Sie nehmen nicht an Muskelmasse zu, aber Sie steigern die Effektivität der vorhandenen Muskulatur. Und es kommt zu einem geringeren Fettaufbau.

Klingt ideal für Bergfahrer. Welche Nebenwirkungen gibt es?
Im Wesentlichen Tumorbildungen in Leber, Blase und Niere. Das ist ein Ausschlusskriterium für die Weiterentwicklung des Präparats. Die Forschung wurde deshalb 2006 auch eingestellt.

Wie kam das Präparat dann in die Sportlerkörper? »Schwund« bei der klinischen Erprobung?
Unseren Erkenntnissen nach stammen sie nicht aus Restbeständen von klinischen Testphasen. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Mittel aus Schwarzmarktsynthesen und Untergrundlaboren resultieren. Bei unseren Testkäufen stießen wir jedenfalls auf eher amateurhaft versiegelte und verpackte Produkte.

Während GW1516 ein körperfremder Stoff ist und geringste Spuren im Körper damit schon als Doping sanktionierbar sind, ist der Nachweis des ebenso fettverbrennenden Muskeloptimierers Aicar doch schwieriger?
Das stimmt. Es ist an uns, zu zeigen, dass es sich nicht oder nicht ausschließlich um körpereigenes Aicar handelt, wenn wir einen Sportler des Dopings mit Aicar überführen wollen. Wir haben schon 2010 eine Studie zur natürlichen Verteilung von Aicar im menschlichen Organismus erstellt und dabei einen Grenzwert ermittelt.

Wie oft sind Werte oberhalb dieses Grenzwerts aufgetreten?
Das möchte ich nicht sagen. Es ist aber Konsens, dass Proben mit auffälligen Aicar-Werten langzeitgelagert und nach Möglichkeit nachanalysiert werden, wenn ein Test irgendwann beweisen kann, dass es körperfremdes Aicar ist.

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