Münchner Fingerspitzengefühle
SPD-Spitzenkandidat Ude versucht, eine fragwürdige Reise auf Kosten des FC Bayern zu verteidigen
München. Es war ein glorreicher Fußballabend für den FC Bayern: Ende Mai feierten die Münchner nach einem 2:1 gegen Dortmund den Champions-League-Sieg 2013. Mit dabei im Londoner Wembley-Stadion: der Münchner Wirtschaftsreferent und OB-Kandidat der SPD, Dieter Reiter. Wegen dieser Reise sind sowohl Reiter als auch Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) mittlerweile seit Tagen in Erklärungsnot - weil die Kosten dafür komplett vom FC Bayern übernommen wurden. Ticket, Bankett, Flug, Übernachtung - alles. Drei Stunden lang wurde nun am Mittwoch im Münchner Stadtrat debattiert.
Das Fazit: Rechtlich scheint alles korrekt gelaufen zu sein. Und auch die Rathaus-Opposition stellte die Reise an sich in der Debatte nicht infrage. Nur: Hätten Reiter und Ude nicht mehr politisches Fingerspitzengefühl zeigen und in puncto Kosten nicht anders handeln müssen? Für Ude ist die Causa Reiter deshalb durchaus heikel - auch, weil er sich zur Verwandtenaffäre im Landtag mehrmals lautstark und mit herber Kritik an der CSU geäußert hatte. Auch da handelte es sich schließlich in den wenigsten Fällen um Gesetzes- oder Regelverstöße, sondern um fehlendes oder zumindest mangelndes Fingerspitzengefühl.
Gängige Praxis
Ude und Reiter nutzten die Debatte erst einmal, um die Fakten klarzustellen. Die sehen so aus: Der FC Bayern wandte sich vor dem Finalspiel - völlig korrekt - an die Protokoll-Abteilung der Stadt, mit Einladungen für Ude und Reiter, jeweils plus Frau. Doch Ude musste, ebenso wie seine beiden Stellvertreter, absagen. Reiter, somit einziger Vertreter der Stadt, ließ sich die Reise genehmigen, und zwar wie vorgeschrieben von Ude persönlich. »Ich hab› mich absolut korrekt verhalten und habe alle Vorschriften eingehalten‹«, sagt er.
Das bestritt bei der Debatte am Mittwoch nicht einmal die Opposition. »Es geht ausschließlich um die Frage der Genehmigung des Oberbürgermeisters«, argumentierte FDP-Stadtrat Michael Mattar. Ude aber ist sich keiner Schuld bewusst. Es habe sich um eine dienstlich veranlasste Reise im Interesse der Stadt gehandelt, sagt er. Es habe »überhaupt kein besseres Podium« gegeben, um Wirtschaftsbosse und die internationale Medienwelt zu erreichen als in London. Daher habe er Reiters Reise genehmigt.
Tatsächlich entspricht dies offenbar der gängigen Praxis in der Stadtverwaltung - die vom Stadtrat stets akzeptiert wurde. Allein in diesem Jahr hätten bereits 18 kommunale Wahlbeamte Dienstreisen auf Kosten des jeweils Einladenden angetreten, berichtet Ude. Über die Jahre seien dies wohl mehrere hundert derartige Reisen gewesen. In der Ratssitzung wurde zudem argumentiert, viele Reisen seien ja genau deshalb erst genehmigt worden, weil keine Kosten für Stadt und Steuerzahler entstanden. Aber, so betont Ude, man könne die Regeln durchaus ändern, wenn jemand glaube, dass dies für die Integrität der Stadt nötig sei.
Zudem argumentiert Ude, es habe sich bei der Einladung für Reiter um kein Geschenk gehandelt, sondern um eine Dienstreise. Deshalb, so heißt es bei der Stadt, könne man den Fall auch nicht mit den Müllmännern und anderen Bediensteten vergleichen, die nur kleinste Geschenke annehmen dürfen, wenn sie nicht ihren Job riskieren wollen.
Allerdings warfen einige Stadträte sowohl aus den Reihen der rot-grünen Rathaus-Koalition als auch von der Opposition die entscheidende Frage auf: Wäre es nicht besser gewesen, wenn die Stadt zumindest die Kosten für Flug und Übernachtung übernommen hätte? So wie dies offenbar beim folgenden DFB-Pokalfinale in Berlin vom Grünen-Bürgermeister Hep Monatzeder gehandhabt wurde. »Ich zahl› das selber, dann kann mir niemand was nachsagen‹« - diesen Satz hätte Reiter sagen sollen, argumentierte CSU-Stadtrat Hans Podiuk. Der OB-Kandidat der CSU, Josef Schmid, sagte übrigens nichts dazu.
Das Steuerzahler-Argument
Hätten Ude und Reiter - zumal als SPD-Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl beziehungsweise bei der OB-Wahl - also nicht größeren politischen Instinkt an den Tag legen müssen? Reiter antwortet darauf im »Münchner Merkur«: »Wo fehlte denn das Fingerspitzengefühl bei der Frage: Soll das der Steuerzahler bezahlen oder der FC Bayern?«
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