Beweise aus der Fälscherwerkstatt

Nach Auftauchen von entlastendem Videomaterial ist Dresdner Prozess gegen Pfarrer König geplatzt

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach sieben Verhandlungstagen ist der Dresdner Prozess gegen Jugendpfarrer Lothar König geplatzt. Ob er je eine zweite Auflage erlebt, ist unklar.

Es sind drei Videoschnipsel, die der Anklageschrift von Staatsanwältin Ute Schmerler-Kreuzer den Garaus machen. Sie zeigen Ereignisse bei einer Demonstration am 19. Februar 2011 in Dresden. An jenem Tag, an dem an der Elbe 20 000 Menschen gegen Nazis demonstrierten, soll sich der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König - zumindest nach bisheriger Überzeugung der Anklage - des schweren Landfriedensbruchs schuldig gemacht und Demonstranten zu Gewalttaten gegen Polizisten aufgewiegelt haben. Seit 4. April muss er sich deshalb vor dem Amtsgericht Dresden verantworten.

Seit gestern ist die Staatsanwältin vermutlich nicht mehr ganz so überzeugt. Königs Verteidigung legte dem Gericht eine Festplatte vor, die sie vorige Woche erhalten habe und auf der sich 200 Stunden Videomaterial befinden. Viele der Sequenzen sind offenbar geeignet, die Vorwürfe gegen König zu entkräften. Eine Kostprobe gaben die gestern im Gerichtssaal gezeigten drei Passagen. Darauf ist zu sehen, dass - anders als von der Anklage behauptet - ein Vorrücken von Demonstranten gegen die Polizei nicht auf eine Durchsage Königs aus dem Lautsprecherwagen der Jungen Gemeinde Jena zurückgeht, sondern auf eine Aufforderung per Megafon. König hat, wie ein weiteres Video belegt, die Szene nicht einmal sehen können.

Derlei Filmsequenzen belegen aus Sicht der Verteidigung, dass sich die Anklage gegen König auf sehr selektiv zusammengestelltes Material stützt. Die Polizeiermittler hätten dabei offenbar »vorsätzlich die Teile ausgesondert, die gegen die These von Lothar König als Anführer sprechen«, wetterte Rechtsanwalt Johannes Eisenberg, der bei der Polizei sogar »eine Art Fälscherwerkstatt« am Werk sieht. Gegen mindestens einen Beamten wurde deshalb bereits Anzeige gestellt. Er hatte behauptet, für einen bestimmten Zeitraum gebe es kein Videomaterial - was sich als falsch erwies. Nur ist darauf statt Königs blauem ein weißer Lautsprecherwagen zu sehen.

Für die Anklage, deren Vorwürfe sich bereits zuvor in Zeugenvernehmungen als fragwürdig bis haltlos erwiesen hatten, dürften sich die jetzt aufgetauchten Videos als vernichtender Schlag erweisen. Schmerler-Kreuzer sprach kleinlaut von »Beispielen für entlastendes Material«, suchte ihre Behörde aber aus der Schusslinie zu nehmen: Man habe »keine Veranlassung« zu der Vermutung gehabt, dass im von den Ermittlern vorgelegten Konvolut »relevantes Material fehlen könnte«.

Einig sind sich die Verfahrensbeteiligten jedenfalls, dass die Videos ausgewertet werden müssen - was im laufenden Verfahren aber unmöglich ist. Auf 600 Stunden beziffert der Vorsitzende Richter Ulrich Stein den Aufwand. Zudem müssen im Lichte der neuen Unterlagen vermutlich Zeugen erneut vernommen werden. »Der Aufwand, noch einmal neu zu beginnen, wäre nur vermeintlich größer«, sagt Stein daher nach zweistündiger Beratung und verkündet dann die Sensation: Das Verfahren wird vollständig ausgesetzt und müsste gegebenenfalls neu aufgerufen werden - »in vier, fünf oder sechs Monaten«, wie Stein anfügt.

Ob es dazu kommt, ist unklar. Königs Verteidiger verlangen die vollständige Einstellung - obwohl König damit ein sauberer Freispruch verwehrt bliebe. Sie verweisen aber auf die Vorverurteilung und die Strapazen des Verfahrens für ihren Mandanten. Und auch der sprichwörtliche Verfolgungseifer der sächsischen Justiz dürfte durch das peinliche und von bundesweiten Negativschlagzeilen begleitete Verfahren, in dem nichts auf ein hartes Urteil hindeutete, etwas erlahmt sein. Beobachter sehen denn auch in der jetzigen Entscheidung kurz vor den Ferien einen eleganten Weg für alle Beteiligten, die Sache zu beerdigen.

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