»Vom Imperialismus gekidnappt«

Boliviens Präsident Evo Morales am Flughafen Wien notgelandet

  • Hannes Hofbauer, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach 13 Stunden unfreiwilligen Aufenthalts am Flughafen Wien-Schwechat konnte Boliviens Präsident Evo Morales Mittwochmittag sein Flugzeug besteigen und in die Heimat weiterreisen. Damit ging ein Irrflug zu Ende, der von Paris und Lissabon erzwungen worden war, weil Frankreich und Portugal in letzter Sekunde Überflugrechte für die Präsidentenmaschine verweigert hatten. Der diplomatische Eklat war Teil der hektischen Suche Washingtons nach dem Whistleblower Edward Snowden, den die USA im Flugzeug vermuteten.

Es war eine lange und hektische Nacht am Flughafen Wien. Journalisten und Politiker strömten herbei, als ruchbar wurde, dass Boliviens Präsidentenmaschine mit Evo Morales an Bord zur Zwischenlandung in Österreich gezwungen worden war. Den Tabubruch im internationalen Luftverkehr hatte Frankreich zu verantworten, die Regie im Hintergrund führten wohl die USA.

Die Maschine mit Evo Morales, der von einer internationalen Konferenz gasfördernder Staaten in Moskau kam, hatte sich bereits kurz vor französischem Luftraum befunden, als ihr die Pariser Flugsicherung die Überfluggenehmigung versagte. Portugal tat es seinem NATO-Partner gleich, Spanien folgte wenig später. Wien bot sich als Notlandeplatz an.

Am frühen Morgen eilte Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer zu seinem gestrandeten bolivianischen Amtskollegen in den VIP-Transitbereich des Flughafens. Vor einer eilig einberufenen Pressekonferenz sah man die beiden in freundschaftlicher Atmosphäre plaudern. Morales bezeichnete dann gegenüber den anwesenden Journalisten seine Situation als »Geiselhaft« und verurteilte die gegen ihn gerichtete Aktion der NATO-Staaten als »kolonialistische Attitüde«. Schon zuvor hatte der bolivianische Verteidigungsminister Ruben Saavedra, der mit dem Präsidenten unterwegs war, in einer Erklärung von einem »feindlichen Akt der USA, die europäische Regierungen missbrauchten«, gesprochen. Und Vizepräsident Álvaro García Linera kommentierte das »Skyjacking« von Bolivien aus mit den Worten, Morales sei »vom Imperialismus gekidnappt« worden.

Empörung über den einmaligen Vorfall in der jüngeren Luftfahrtgeschichte war auch von höchsten Amtsträgern Argentiniens, Ecuadors, Venezuelas und Kubas zu vernehmen; Paris, Lissabon und Madrid indes schwiegen, die USA taten unbeteiligt.

Unklarheit herrschte bis zuletzt, ob und in welcher Form die bolivianische Präsidentenmaschine in Wien inspiziert worden ist. Österreichs Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP), der spät und sichtbar unwillig zum Flugplatz gekommen war, bejahte eine diesbezügliche journalistische Anfrage und betonte, dass die »Nachschau« mit dem Einverständnis bolivianischer Stellen passiert sei. Evo Morales indes verneinte die Frage nach einer Inspektion. Sein Verteidigungsminister bestritt heftig, dass sich Edward Snowden im Flugzeug befinden würde. Die Gerüchteküche war voll in Betrieb. Bis zuletzt unklar blieb auch, ob Snowden überhaupt einen Asylantrag bei bolivianischen Stellen eingebracht hatte.

Österreichs Offizielle verhielten sich, für dieses Mal, vergleichsweise vorbildlich. Der Umgang sowohl mit der bolivianischen Maschine im Irrflug wie auch mit dem politisch notgelandeten Präsidenten erinnerte daran, dass das Land formal einen neutralen Status aufweist. Während Länder wie Portugal, Spanien und offensichtlich auch Frankreich auf Zuruf Washingtons internationale Rechte und völkerrechtliche Standards von einer Minute auf die andere außer Kraft setzten, blieb Wien davon weitgehend unbeeindruckt.

Aufforderungen der Grünen, Snowden doch in Österreich Asyl zu gewähren, schmetterte Innenministerin Maria Fekter allerdings mit einem fadenscheinigen Argument ab. Ein solcher Antrag, meinte sie, könne überhaupt nur behandelt werden, wenn ihn der ehemalige US-Gemeindienstmitarbeiter von österreichischem Territorium aus stellen würde. Wie das funktionieren soll, bleibt angesichts der Massivität, mit der die USA diplomatisch wüten und Druck auf ihre NATO-Partner ausüben, dahingestellt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!