Der Saftladen brummt
Vom Café bis zur Zementfabrik - in Mexiko-Stadt gibt es eine Vielzahl von Kooperativen in Arbeiterhand
Die Comic-Ente mit der keck auf dem Kopf sitzenden Baseballkappe ist schon von Weitem zu sehen. Das an Disneys Donald Duck erinnernde Wahrzeichen des Getränkekonzerns Pascual thront in Form einer runden Lichtwerbung auf einem soliden Metallmast. Vorwitzig linst die Ente über die mächtige Betonmauer, die das Werksgelände an der Straße Clavijero in Mexiko Stadt einfasst.
Vor dem offenen Tor stehen zwei kleinere Lkw, die mit frischer Ware beladen werden. Hinter ihnen ist der Eingang zur Halle zu sehen, in der mehrere große Trucks stehen, die entladen werden. »Unser Stammsitz dient heute nur noch als Vertriebszentrum, die Produktion ist längst ausgelagert«, erklärt Salvador Torres. Der 55-Jährige im edlen Dreiteiler ist der Schatzmeister des Getränkeunternehmens und wird von den Wachleuten mit einem Schulterklopfen auf den Werkshof durchgewunken.
Salvador Torres ist ein Mann aus ihrer Mitte, denn er hat genauso wie sein Kollege Gregorio Orozco Rebollar ganz unten angefangen. »Mit 19 Jahren habe ich bei Pascual angeheuert. Ich war für den Verkauf beziehungsweise die Belieferung von Imbissen in einem bestimmten Planquadrat der Stadt zuständig«, erklärt Torres mit einem Schmunzeln. Er lehnt sich an eine Palette mit Mangosaft aus dem Hause Pascual. Dieser Fruchtsaft war schon damals ein Verkaufsschlager und gehört noch heute zu den beliebtesten Getränken im Repertoire von Mexikos drittgrößtem Getränkekonzern. Der Betrieb wird seit 1985 von den Arbeitern dirigiert. »Hier in der großen Halle werden alle wichtigen Entscheidungen auf der Genossenschaftsversammlung getroffen«, erklärt der quirlige Schatzmeister mit dem schmalen Schnurrbart.
Es begann mit einem Streik
1985 endete der dreijährige Arbeitskampf, den 1500 Arbeiter gegen den engstirnigen Patrón Victor Rafael Jiménez Zamudio führten. »Er hatte das Unternehmen 1940 gegründet und war ein Unternehmer der alten Schule.« Im Klartext heißt das so viel wie engstirnig, selbstherrlich und arrogant. Don Jiménez, wie der Unternehmer in seinem aus mehreren Fabriken bestehenden Saft- und Softdrink-Reich genannt wurde, ließ sich ungern etwas vorschreiben - nicht mal von der mexikanischen Regierung.
Die verfügte im Frühjahr 1982 eine Anhebung des Mindestlohns. »Wir Arbeiter haben das natürlich begrüßt, aber Don Jiménez widersetzte sich der Anordnung. Also protestierten wir und legten die Arbeit vorübergehend nieder«, so Gregorio Orozco Rebollar. Der schwergewichtige 52-Jährige erinnert sich noch gut an die folgenden Scharmützel mit den angeheuerten Schlägern des selbstherrlichen Unternehmers. »Viele Kollegen wurden verletzt, zwei erschlagen und das war der Beginn des längsten Arbeitskonflikts, den Mexiko bis dahin erlebt hatte.« 1500 von 1800 Arbeitern traten damals in den Ausstand. Sie verhinderten, dass im Werk produziert werden konnte, und sie wehrten sich vor Gericht gegen den Patron.
Doch Recht ist in Mexiko auch heute nicht so ohne Weiteres zu bekommen und so dauerte der Ausstand drei Jahre. Ohne die Unterstützung aus den Stadtteilen hätte das nie funktioniert: »Wildfremde Menschen haben für uns Geld gesammelt, um die Anwälte oder auch mal den Arzt für einen kranken Genossen zu zahlen«, erinnert sich Salvador Torres.
Lächelnd reibt er sich über den schwarzen Schnurrbart und deutet auf eines der Streikbilder, die in dem kleinen Pförtnerhäuschen hängen, das neben dem Eingangstor zum Werksgelände steht. Hier müssen sich die Besucher anmelden - damals wie heute. Nur hat Don Jiménez seit Mai 1985 bei Pascual nichts mehr zu sagen.
Dann kauften die Arbeiter ihre Firma
»Wir haben den gesamten Laden mit allen Marken- und Patenrechten gekauft«, betont Salvador Torres mit einem Lächeln. Das war möglich, weil Unternehmer Jiménez jegliche Schlichtungsvorschläge ablehnte und letztlich die ausstehenden Löhne für drei Jahre zahlen musste. »Unser Streik war als rechtsmäßig deklariert worden und so haben wir das Unternehmen, welches die Banken zum Verkauf ausgeschrieben hatten, einfach selbst erworben«, so Torres.
In Mexiko ein bis dahin noch nie da gewesenes Experiment. Mehr als ein halbes Jahr bis zur Pleite gab niemand den rund 1500 Arbeitern, die im Management eines großen Unternehmens schließlich komplett unerfahren waren. Am 27. Mai 1985 gingen die ersten Paletten mit Säften, Fruchtdrinks und anderen Durstlöschern wieder in Umlauf. Mit 170 Arbeitern hatte man damals die Produktion wieder angefahren, ein Jahr später waren alle der 1500 Streikenden wieder in Lohn und Brot . Inzwischen arbeiten 5000 Mexikaner unter dem Firmenemblem mit der lachenden Ente.
Heute läuft es deutlich anders: Flache Hierarchien, Kollegialität und gemeinsame Entscheidungsstrukturen kennzeichnen das etwas andere Unternehmen, wo die Arbeiter in schlechten Zeiten auch mal auf zehn oder zwanzig Prozent Lohn verzichten würden. 2009 - während der Finanzkrise - wäre das beinahe so weit gewesen, aber letztlich kam der Notfallplan nicht zum Einsatz, erklärt Torres. Derartige Strukturen sind selten in großen Unternehmen. Einzig der Zementhersteller Cruz Azul ist mit Pascual teilweise vergleichbar.
Auf kleinerer Ebene sind alternative Strukturen allerdings durchaus vertreten, wie das Beispiel der Kaffeebauern in Oaxaca oder Chiapas zeigt. Dort gibt es oft genossenschaftliche Strukturen und die werden auch in Mexiko-Stadt unterstützt. So wird im Bizaaro-Café, einem angesagten alternativen Café im Stadtteil Roma, Bio-Espresso aus Oaxaca ausgeschenkt. Kein Einzelfall, denn Bio- und Fair-Trade-Kaffee hat auch in Mexiko-Stadt mittlerweile Konjunktur. Solidarität mit den Produzenten ist nicht mehr die Ausnahme.
Für die haben sich Panteón Rococó, eine der bekannten alternativen Bands Mexikos, starkgemacht und immer wieder Solidaritätskonzerte für die Bauern und ihre politische Überzeugung gegeben. Typisch für die linke Band, die sich regelmäßig auf die Seite derjenigen stellt, die für mehr Partizipation von unten und gerechtere Strukturen eintreten. Das wird auch im eigenen Studio, dem Cocodrilo Solidario, gelebt, wo die Band seit 2009 nicht nur ihre Platten einspielt, sondern auch für andere Bands produziert. »Wir versuchen Musikgruppen, die ähnlich denken wie wir, auf dem Weg zur ersten eigenen Platte zu unterstützten. Muss ja nicht so laufen wie bei uns damals«, erklärt Luis Dr. Shenka, Sänger von Panteón Rococó. Sie mussten den Umweg über die Plattenindustrie gehen, um genug Geld zu verdienen, um sich selbstständig zu machen. Sie sind heute eine komplett unabhängige Band, die ihre CDs über eigene Strukturen vertreibt - über die Betreiber einer befreundeten Bar in Oaxaca oder über autonome Kulturzentren. Davon gibt es in Mexiko zwar nicht allzu viele, aber das Motto der Band ist klar: autonom, kritisch und nah an den sozialen Bewegungen des Landes.
Betriebe unterstützen sich gegenseitig
Das gilt auch für eine ganze Reihe anderer Projekte, die sich in den letzten Jahren in Mexiko-Stadt gegründet haben. »Enhuertamesta« heißt beispielsweise ein alternatives Landwirtschaftsprojekt im Süden der Hauptstadt. Dort haben sich mehrere Genossenschaften zusammengetan, um mit alternativen kollektiven Konzepten Lebensmittel zu produzieren. Ein Vorhaben, das genauso wie das alternative Grafikunternehmen »Tinta Negra« Unterstützung benötigt, denn Genossenschaftsbanken, wie es sie in Deutschland zuhauf gibt, sind in Mexiko bisher noch Mangelware. Ein Grund, weshalb Unternehmen wie Pascual oder der Zementproduzent Cruz Azul alternative Finanzmodelle unterstützten, denn bisher haben kleine, solidarische Unternehmen in Mexiko kaum einen Zugang zu Krediten. Genossenschaften gelten im mexikanischen Bankensektor bisher nicht als kreditwürdig. Deshalb sind Optionen wie die Gründung einer Genossenschaftsbank eine Alternative, so Salvador Torres. Doch bis dahin wird es noch dauern und so unterstützten sich alternative, solidarische Unternehmen in Mexiko oft gegenseitig. Das ist nicht nur beim größten Saftladen des Landes der Fall, sondern auch bei Panteón Rococó.
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