Kick durch Buchenrauch
Halberstädter Würstchen sind im Osten weiterhin Marktführer, im Westen liegen sie nur auf Rang sechs
Halberstadt. Eines der ältesten Würstchen in Deutschland feiert Jubiläum. Vor 130 kreierte der Metzger Friedrich Heine aus Halberstadt am Harz in seiner Küche die ersten Würste und räucherte sie in einem Kamin. Das Halberstädter Würstchen war geboren. »Ich blicke mit Stolz auf 130 Jahre zurück, schließlich wurde hier auch das weltweit erste Dosenwürstchen gefertigt«, sagt die Geschäftsführerin der Halberstädter Würstchen- und Konservenfabrik GmbH & Co. KG, Silke Erdmann-Nitsch.
Nachdem Heine nach vielen vergeblichen Versuchen im Jahr 1896 die Konservierung von Bockwürsten gelang, war die Nachfrage riesig. So ließ er eine Fabrik bauen, die 1913 in Betrieb ging. Genau dort würden heute noch die »Halberstädter« produziert, sagt Erdmann-Nitsch.
Teurer als andere
Die Liebe der Deutschen zum Würstchen ist ungebrochen, gleich, ob es sich um »Frankfurter«, »Halberstädter« oder »Wiener« handelt. »Es ist ein Snack, den man in die Hand nehmen und schnell mal nebenbei kalt oder warm essen kann«, sagt ein Sprecher des Deutschen Fleischer-Verbandes in Frankfurt am Main. Den Angaben zufolge hielten sich die Würstchen seit Jahren trotz Konkurrenz von Pizza, Döner und Bratwurst wacker. Der Pro-Kopf-Verzehr ist seit Jahren stabil und lag nach neuesten Zahlen auch im Jahr 2011 bei rund vier Kilogramm. Bei Bratwürsten - zu denen statistisch auch die beliebte Curry-Wurst gehört - lag er bei 2,7 Kilogramm.
Trotz des großen Appetits der Deutschen auf Würstchen haben es die »Halberstädter« auch nach 23 Jahren noch nicht nennenswert in die Regale Westdeutschlands geschafft. Dem Marktforschungsunternehmen A. C. Nielsen zufolge sind sie im ersten Quartal 2013 bei Würstchen im Naturdarm mit knapp unter 30 Prozent im Osten zwar Marktführer, bundesweit aber liegen sie mit 4,2 Prozent auf Rang sechs. Im Auftrag des Handels gefertigte Würste nehmen den Angaben zufolge mit 33,8 Prozent den ersten Platz ein, gefolgt von Meica (24,3 Prozent), Böklunder (9,8 Prozent) und Metten (9,2 Prozent).
Die Marktposition könnte am höheren Preis liegen, sagte Nitsch. »Doch wir rücken von unseren hohen Qualitätsansprüchen nicht ab.« Die Chefin betont, dass im Werk ausschließlich langjährige Fachkräfte beschäftigt seien und ein Haustarifvertrag existiere. »Außerdem kaufen wir nur erstklassiges Fleisch und zerlegen die Tiere auch selbst«. Wer sich für die Produktionsabläufe interessiere, könne das Werk auch besichtigen. Als der Unternehmer und Vater von Silke Nitsch, Ulrich Nitsch aus Lehrte (Niedersachsen), die Traditionsfirma 1992 von der Treuhand kaufte und danach mehr als 30 Millionen Euro in die Sanierung investierte, legte er besondere Sorgfalt auf die Kaminrauchanlage. Denn dort bekommen die Würste das, was die »Halberstädter« ihr Geheimnis nennen: den Buchenholz-Rauchgeschmack. Die Kamine sind vor allem der Grund, dass nur Würstchen aus Halberstadt auch den Namen der Stadt tragen dürfen.
1200 Tonnen pro Jahr
Dieses Recht musste sich die Firma nach der Wende beim Bundespatentgericht in München erstreiten, denn andere deutsche Hersteller wollten auch Würste unter dem Namen »Halberstädter« vertreiben. Das wäre an die Existenz der Harzer Firma gegangen. »So haben auch die Richter in München Anteil daran, dass wir das 130-Jährige feiern können«, sagte Erdmann-Nitsch. 1200 Tonnen Würstchen verschiedener Sorten fertigen die 220 Beschäftigten in Halberstadt pro Jahr. Hinzu kommen 80 verschiedene andere Produkte, auch Fertiggerichte.
»Derzeit ist die Lage nicht so rosig«, sagt Erdmann-Nitsch. Ein Großkunde sei weggebrochen, was ein Umsatz-Minus von 15 Prozent im Jahr 2012 ausmachte. Absolute Zahlen will sie nicht nennen. Die Chefin gibt sich dennoch optimistisch: »In 130 Jahren hat es so manche Höhen und Tiefen gegeben.«
Den Angaben des Bundesverbandes der Deutschen Fleischwarenindustrie (Bonn) zufolge ist der Fleischwarenverzehr in Deutschland seit Jahren stabil. Etwas mehr als 30 Kilo Wurst und Wurstwaren verputzt jeder Deutsche im Jahr. Auch deshalb will Erdmann-Nitsch neue Märkte im Ausland erschließen und blickt unter anderem nach China. Das sei zwar kein klassisches Würstchenland, aber Interesse sei vorhanden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.