Im Wettlauf gegen das Vergessen
Sachsen-Anhalt will aus dem Hochwasser lernen
Überschwemmte Felder, zerstörte Häuser, weggespülte Straßen - die Folgen der Flut vom Juni sind in Sachsen-Anhalt noch allgegenwärtig. Elbe und Saale, Mulde und Elster waren über die Ufer getreten, Deichbrüche sorgten für Überschwemmungen und vertrieben viele aus ihren Häusern. Allein der materielle Schaden wird auf 2,7 Milliarden Euro beziffert.
Inzwischen läuft vielerorts der Wiederaufbau, der auch mit öffentlichen Geldern unterstützt wird. 6,5 Millionen Euro wurden bisher an knapp 9000 Privatpersonen ausgezahlt, erklärte Umweltminister Hermann Onko Aeikens (CDU) gestern im Landtag. Weitere 600 000 Euro wurden für die Sanierung von 369 Wohngebäuden bereitgestellt. Kommunen erhielten zwölf Millionen Euro für die Schadensbeseitigung.
Zugleich machen sich die Landespolitiker Gedanken darüber, welche Konsequenzen aus dem erneuten Hochwasser, immerhin der zweiten schweren Flut binnen elf Jahren, zu ziehen sind. Ein Antrag der Koalition von CDU und SPD, den der Landtag einstimmig beschloss, nennt als erstes die Wiederherstellung der Deiche. Dort entstanden Schäden von 260 Millionen Euro, sagt Aeikens. Sie sollen schnell behoben und bislang unsanierte Deiche zügig erneuert werden - anders als zuletzt geplant, räumt der SPD-Politiker Ralf Bergmann ein. Aus Kostengründen war erwogen worden, die teure Deichsanierung bis nach 2020 zu strecken: »Nun wissen wir, dass wir schneller sein müssen.«
Zudem besteht Übereinstimmung, dass die Flüsse mehr Platz brauchen, indem Deiche verlegt und Polder errichtet werden. Derlei Vorhaben waren schon nach der Flut 2002 beschlossen worden; wirklich verlegt wurden bisher nur Deiche im Lödderitzer Forst. Damit die Pläne schneller vorangetrieben werden, müssten Planung und Genehmigung deutlich beschleunigt werden, sagte Aeikens und signalisierte Unterstützung für einen entsprechenden Vorstoß von Bayern und Sachsen auf Bundesebene. Rückhalt kommt auch von den Grünen, die nur davor warnen, dabei Klagemöglichkeiten zum Beispiel von Naturschutzverbänden zu beschneiden.
Entscheidend dafür, ob den Flüssen mehr Raum geboten werden kann, ist die Zustimmung der Anlieger, also zum Beispiel von Landwirten, die Flächen zur Verfügung stellen müssten. Diesen müssten Entschädigungen garantiert werden, sagt der Linksabgeordnete André Lüderitz. Die Ausgleichszahlungen dafür, dass Flächen etwa nur noch als Weideland genutzt werden dürfen, müssten dabei vertraglich garantiert und dürften »nicht nur nach Kassenlage« gewährt werden, ergänzte sein Fraktionskollege Uwe-Volkmar Köck.
Ein heikles Thema sind Umsiedlungen. Viele Flussanwohner haben im Juni zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit ihren Besitz verloren und denken jetzt über Umzüge nach. Die Frage, ob sie Aufbauhilfen und Versicherungsleistungen auch für einen Neubau an anderer Stelle nutzen dürfen, sei bisher »ein ungelöstes Problem«, sagt Lüderitz.
Einig ist man sich in der Politik, dass in Zukunft nur noch in absoluten Ausnahmefällen in Flutgebieten gebaut werden darf. Bisher entstanden dort immer wieder Wohnhäuser; Jürgen Stadelmann (CDU) zitiert einen Brief, in dem Flutschäden beklagt werden - und der den Absender »Am Quellgrund« trug. Das Land solle nun »ernst machen in der Frage, wo künftig gebaut werden darf und wo nicht«, sagt Bergmann. Die Kommunen müssten das in den Flächennutzungsplänen »rigoros umsetzen«, mahnt Köck. Allzu viel Zeit, fügte er hinzu, dürfe man sich dabei nicht lassen. Noch seien die Eindrücke der Flut frisch und die Bereitschaft, Konsequenzen zu ziehen, groß. Die Erfahrung von 2002 zeigt, dass sie nicht allzu lange anhält. »Wir befinden uns«, sagt Köck, »im Wettlauf mit dem Vergessen.«
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