Ackerland unter

Weil die Flut 2013 im Juni kam, wurden Landwirte hart getroffen. Statt zu ernten, hoffen sie jetzt auf Entschädigung

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 6 Min.
Das Hochwasser 2013 hat ein Zehntel der Agrarflächen in Sachsen-Anhalt geflutet. Viele Landwirte haben ihre komplette Ernte verloren. Jetzt hoffen sie auf Entschädigung - und Sonne.

Zuerst steigt das Elend in die Nase. Reifes Getreide, schreibt der sächsische Dichter Wulf Kirsten, verströmt einen betörenden Duft, »in dem eine Vorahnung von Brotgeschmack aufwölkt«. Rund um die Dörfer Lödderitz und Groß Rosenburg riecht es nicht nach prallen Körnern, aus denen bald Mehl und später knusprige Brotlaibe entstehen, sondern nach Moder, Fäulnis und Verwesung.

Das Auge indes trügt zunächst der Schein. Es nimmt Äcker wahr, auf denen sich Sommergerste golden unter dem blauen Himmel erstreckt und auf denen Raps brusthoch und dicht in der Sonne steht. »Die Felder sehen aus, als wären sie erntereif«, sagt Bernd Knopf, der sie zusammen mit sechs weiteren Landwirten im gemeinsamen Betrieb bewirtschaftet. Doch auf diesen Schlägen gibt es in diesem Jahr nichts zu ernten. Beim Raps sind alle Halme durchgefault. Nur weil die verästelten Pflanzen hart sind wie Draht, bewahren sie Haltung. Die Sommergerste entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als verfilzte, strohige Masse ohne Körner. »Das ist alles tot«, sagt Knopf und fügt an: »Es blutet einem das Herz.«

Vor einem Vierteljahr blickten Knopf und seine Kollegen mit anderen Gefühlen über ihre Felder, die sich über knapp 1600 Hektar erstrecken und in der Ferne vom Auwald und den Deichen entlang der Elbe und der Saale begrenzt werden. Im Frühjahr 2013 hätten sie sich zum ersten Mal überhaupt »über alle Früchte gefreut«, erinnert sich der Bauer: Rüben und Raps, Weizen und Mais standen prächtig; bei Wintergerste hätten sie einen Ertrag von 80 bis 90 Doppelzentner je Hektar erwartet. Das wäre für die zwar fruchtbare, aber mit ihren vom Ton schweren Böden nicht wirklich rekordträchtige Region ein respektabler Ertrag gewesen.

Dann aber begann es in Sachsen und Böhmen wie aus Kübeln zu schütten. Elbe, Mulde und Saale schwollen an und pressten mit unvorstellbarer Kraft auf ihre Deiche. Ein Schutzwall bei Breitenhagen, nicht weit von Lödderitz und Bauer Knopfs Feldern, hielt dem Druck nicht stand. Erst tat sich ein Riss in der Krone auf, dann sickerte Wasser unterm Deichfuß durch, dann brach das Schutzbauwerk auf einer Länge von 80 Metern zusammen. Rund 120 Millionen Kubikmeter Wasser ergossen sich in das Hinterland. »Das entspricht dem Inhalt der Rappbode-Talsperre«, sagt Burkhard Henning vom Landesbetrieb für Hochwasserschutz in Sachsen-Anhalt. Allerdings liegt die zwischen den Bergen im Harz. Der Elbe-Saale-Winkel dagegen ist flach wie ein Kuchenteller.

Vier Tage strömte deshalb die Flut immer weiter über Felder, Weiden und in Dörfer. Am Ende standen 85 Quadratkilometer unter Wasser, mancherorts brust-, manchmal nur kniehoch. Um Getreide, Weiden und Gemüseplantagen verfaulen zu lassen, reichte das vollkommen aus. Bernd Knopf erinnerte sich an eine alte Volksweisheit: »Wenn viel wächst, kommt viel um.« In seinem Fall ist der Spruch wörtlich zu nehmen: Nahezu alles, was gewachsen war, ist umgekommen. »Die Verluste liegen bei 95 Prozent«, sagt er. In der Nähe des Deichbruchs steht noch etwas Weizen auf einer kleinen Anhöhe. Ob die zartgrünen Ähren ausreifen, ist offen.

Gut vier Wochen, nachdem das Wasser auf ihre Felder geströmt ist, sitzen Knopf und viele seiner Kollegen an einem frühen Nachmittag im Gasthof von Diebzig. Der Agrarminister ist aus Magdeburg gekommen, um sich ihre Sorgen berichten zu lassen und sein Bild von den Flutfolgen zu vervollständigen. Die hat, sagt Hermann Onko Aeikens, die Landwirtschaft deutlich schlimmer getroffen als das Hochwasser von 2002. Das kam im August, als viele Felder bereits abgeerntet waren. Elf Jahre später ging die Ernte unter - nicht nur auf wenigen Feldern. Auf rund einem Zehntel der landwirtschaftlich genutzten Fläche von Sachsen-Anhalt stand (und steht) das Wasser. Mindestens 700 der 4200 Agrarbetriebe im Land sind geschädigt.

Wie genau die Schäden aussehen, lässt sich der CDU-Minister in diesen Tagen erklären. Von der Arbeit hält Aeikens die Landwirte dabei in Diebzig nicht ab: Viele von ihnen können auch nach einem Monat noch nicht wieder auf die Felder fahren. Mancherorts ist der Boden sumpfig, an anderen Stellen stehen Pfützen und Seen, einige Äcker gleichen Reisplantagen, so hoch steht das Wasser. Möwen kreisen, Reiher staken am Feldweg entlang. Es ist ein Revier für Amphibienfahrzeuge, nicht für Traktoren. Viele Äcker sind nicht einmal zu Fuß zu betreten.

Wann das Wasser über Rinnen wie den Landgraben seinen Weg zurück in die Saale gefunden hat, ist völlig offen. Nicht abzusehen ist deshalb auch, wann das verdorbene Getreide von den Feldern geholt werden kann. Mit Häckslern oder Grubbern sind die noch nicht befahrbar. Bauern erwägen daher, das inzwischen getrocknete Stroh abzubrennen. Ob sie es schaffen, im August den Raps für das nächste Jahr oder zumindest im September die Wintergerste aussäen zu können, ist dennoch völlig unklar, sagt Frank Zedler, der Präsident des Landesbauernverbandes Sachsen-Anhalt. Die Folgen der Flut, so viel ist klar, werden für viele Bauern auch 2014 noch zu spüren sein.

Ob Landwirte wie Bernd Knopf im nächsten Jahr überhaupt noch Felder bewirtschaften, hängt sehr entscheidend davon ab, wie hoch die Entschädigungen für die Ernteverluste ausfallen, über die derzeit verhandelt wird. Die Flut hat nicht nur Felder überschwemmt, sondern auch Städte verwüstet, Häuser und Unternehmen zerstört, Straßen und Schienen weggespült. Noch ist unklar, welchen Anteil aus dem von Bund und Ländern mit acht Milliarden Euro gefüllten Fluttopf die Landwirte erhalten. »Wir bemühen uns«, sagt Aeikens, »so viel wie möglich herauszuholen.« Das Land selbst hat ein Programm aufgelegt, um geschädigte Felder und Weiden rekultivieren zu können. Über Hilfen für Landwirte, die auch 2014 noch unter den Flutfolgen leiden - etwa, weil verfaulte Erdbeerpflanzen auf verschlammten Plantagen nicht rechtzeitig ersetzt werden kön-nen -, werde derzeit mit dem Bundesagrarministerium verhandelt.

Fest steht bisher, dass geschädigte Betriebe neben einer Sofortleistung von 5000 Euro die Hälfte ihrer Ausfälle ersetzt bekommen: 500 Euro sollen je Hektar geflutetes Ackerland gezahlt werden, 300 Euro für Grünland. Bernd Knopf, der die Lage für seinen Betrieb als »existenzgefährdend« beschreibt, hält das für unzureichend: »Damit kann ich mich nicht zufriedengeben.« Der Minister hofft, den am schwersten getroffenen Bauern bis zu 90 Prozent der Ausfälle ersetzen zu können. Die Details des Pakets, fügt er hinzu, würden derzeit von Bund und Ländern verhandelt.

Die Fragen, die es dabei zu klären gibt, sind vielfältig und diffizil. Wie etwa soll Gärtnern geholfen werden, die Tomaten und Gurken anbauen und bei denen die Schäden auf 150 000 Euro je Hektar beziffert werden - ganz zu schweigen von dem Pfingstrosenzüchter, bei dem 0,6 Hektar geflutet und Pflanzen und Knollen im Wert von 450 000 Euro vernichtet wurden? Zu regeln sind auch zahlreiche formale Fragen. Welche Folge hat es, wenn für die Evakuierung von Kühen Wiesen genutzt werden, die als stillgelegt gemeldet sind und als solche gefördert werden? Wie soll Entschädigung beantragt werden, wenn eine Evakuierung von Tieren zwar vom Krisenstab angeordnet, das entsprechende Stück Papier aber bis heute nicht nachgereicht wurde?

Im Festsaal des Gasthofes sorgen die bürokratischen Folgen des Hochwassers für immer neue Fragen. Derweil scheint draußen die Sonne. Sie sengt, kaum von einem Wölkchen behindert, auch auf die durchnässten Äcker und hilft ein wenig, sie zu trocknen. Mit jedem heißen Tag steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Bauer Knopf in dieser Saison doch noch Getreide säen kann - und es im nächsten Jahr auf seinen Feldern wieder nach Brot duftet statt nach Fäulnis.

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