Arbeitsmarkt

Von Mindestlohn bis Liberalisierung: Was wirklich zur Wahl steht - die Positionen der im Bundestag vertretenen Parteien / Teil IV der nd-Serie

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Die machen doch sowieso alle das Gleiche, lautet eine verbreitete Meinung über Parteien. Nur ein Viertel der Wahlberechtigten, so das Ergebnis einer aktuellen Studie, können zwischen SPD und Union überhaupt einen Unterschied erkennen. Und: Wer liest schon die seitenlangen Wahlprogramme? Cornelia Hildebrandt und Jochen Weichold haben sich für die Rosa-Luxemburg-Stiftung die Forderungen der im Bundestag vertretenen Parteien angeschaut. Was Rot von Gelb und Grün von Schwarz unterscheidet, lesen Sie hier in täglich in einer nd-Serie.

In der Arbeitsmarktpolitik ficht die FDP für eine weitere Deregulierung des Arbeitsmarktes, während CDU und CSU auf diesem Politikfeld nur wenig Handlungsbedarf sehen. Dagegen wollen die SPD, DIE GRÜNEN und vor allem DIE LINKE der Ausbreitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse Einhalt gebieten. Exemplarisch ist hier die Haltung der Bundestagsparteien zum Mindestlohn. Während die FDP einen allgemeinen, flächendeckenden Mindestlohn strikt ablehnt und die CDU/CSU lediglich für einen »tariflichen Mindestlohn« votiert, fordern SPD, GRÜNE und LINKE einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Nach den Vorstellungen von SPD und GRÜNEN soll seine Höhe mindestens 8,50 Euro betragen, nach denen der LINKE zehn Euro und zum Ende der kommenden Wahlperiode mindestens zwölf Euro.

Die FDP bekämpft staatliche Eingriffe in die »Soziale Marktwirtschaft« und will den Arbeitsmarkt »flexibel und offen« halten. Das würde für viele Menschen den Einstieg in Arbeit erleichtern. In diesem Kontext plädiert die FDP für »flexible Beschäftigungsformen«, für Lockerungen bei den befristeten Arbeitsverhältnissen, aber auch für die Erhöhung der Verdienstgrenze für Mini-Jobs auf 450 Euro und für die vereinfachte Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse.

Die Unionsparteien erklären zwar, dass die Festanstellung der Regelfall sein müsse, wollen aber prekäre Arbeitsverhältnisse wie die Zeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse, Minijobs, Teilzeitbeschäftigungen und Werkverträge als wichtige Instrumente am Arbeitsmarkt beibehalten. Sie versprechen, mit den Sozialpartnern sicherzustellen, dass diese Arbeitsverhältnisse nicht missbraucht werden, um bestehende Arbeitsregeln und Lohnuntergrenzen zu unterlaufen. Der Grundsatz »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort« für Zeitarbeitnehmer solle konsequent umgesetzt werden.

Im Unterschied zu FDP und CDU/CSU plädieren SPD, GRÜNE und LINKE in ihren Wahlprogrammen für eine aktive Arbeitsmarktpolitik und für die Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors (bzw. eines »verlässlichen sozialen Arbeitsmarktes«) mit Angeboten sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, der auch durch den Transfer von passiven in aktive Leistungen finanziert werden soll. Alle drei Parteien greifen die Forderung der Gewerkschaften nach »Guter Arbeit« auf und wollen das Tarifvertragssystem stärken. Sie möchten die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen abschaffen und den Missbrauch von Praktika durch die Einführung von Mindeststandards wirkungsvoll bekämpfen. Sie verlangen gleichen Lohn für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit und wollen dieses Prinzip auch für Leiharbeitsbeschäftigte und Stammbelegschaften durchsetzen. Nach dem Willen der GRÜNEN und der LINKEN sollen Leiharbeiter zusätzlich einen Flexibilitätsbonus erhalten (DIE LINKE: in Höhe von zehn Prozent des Lohnes). DIE LINKE will die Verleihdauer auf wenige Monate begrenzen und strebt längerfristig ein Verbot der Leiharbeit an.

SPD und GRÜNE verlangen, mit einem Entgeltgleichheitsgesetz die strukturelle Lohnbenachteiligung von Frauen zu beenden. SPD und LINKE fordern, dass die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an die Tariftreue geknüpft wird. DIE GRÜNEN und DIE LINKE plädieren für ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft und verlangen, den Missbrauch von Werkverträgen zu verhindern. DIE GRÜNEN wollen Minijobs ersetzen, DIE LINKE will ihre Umwandlung in voll sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze von der ersten Stunde an.

Die SPD will mehr Verteilungsgerechtigkeit bei Einkommen und Vermögen erreichen und erklärt, deutliche Lohnsteigerungen und die Stärkung der Binnennachfrage lägen im gesamtwirtschaftlichen Interesse. Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik müssten auf das Ziel der Vollbeschäftigung in guter Arbeit ausgerichtet sein. Der Katalog möglicher Befristungsgründe für Arbeitsverhältnisse soll überprüft werden. Die SPD will die Rahmenfrist, in der ein Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben werden kann, von zwei auf drei Jahre verlängern, und tritt für das Prinzip der Tarifeinheit ein. Der Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern als Streikbrecher soll verboten werden.

DIE LINKE will Erwerbslosigkeit bekämpfen und den Personalmangel in der öffentlichen Daseinsvorsorge ausgleichen. Die Löhne müssten deutlich stärker steigen als die Preise. Der Kündigungsschutz müsse gestärkt und profitablen Unternehmen müssten Massenentlassungen verboten werden. DIE LINKE will die Arbeitszeiten bei vollem Lohn- und Personalausgleich verkürzen und strebt eine Obergrenze von 35, längerfristig von 30 Stunden pro Woche an. Kettenbefristungen von Arbeitsverhältnissen sollen untersagt, die Befristung auf einmalig, längstens ein Jahr und wenige sachliche Gründe beschränkt werden. Teilzeitarbeit dürfe nicht unter 18 Stunden in der Woche geleistet werden. Die Partei will Belegschaften unterstützen, die ihre in die Krise geratenen Betriebe in Eigenregie (z.B. als Genossenschaften oder als Belegschaftsbetriebe) weiterführen wollen.

»Wahlprogramme der Parteien im Vergleich« von Jochen Weichold und Cornelia Hildebrandt ist erschienen in der Reihe rls papers der Rosa-Luxemburg-Stiftung und kann hier komplett heruntergeladen werden.

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