Teure U-Bahn durch Bestechung
Siemens hat in Brasilien eigenes Kartell angezeigt
Die brasilianische Justiz hat mehrere Ermittlungsverfahren gegen die früheren sozialdemokratischen PSDB-Regierungen des Bundesstaates São Paulo, Mário Covas (1995-2001) und Geraldo Alckmin (2001-2006), der derzeit zum zweiten Mal als Gouverneur regiert, sowie José Serra (2007-2010), eingeleitet. Von Siemens an die Behörden übergebene Dokumente deuten darauf hin, dass das Preiskartell im Jahr 2000 unter Federführung von Covas gebildet und von den nachfolgenden Regierungen fortgeführt wurde. Es sollen Bestechungsgelder in Millionenhöhe geflossen sein.
Als Schlüsselfigur gilt Covas’ früherer Kabinettschef Robson Marinho, heute Bundesabgeordneter. Er wird mit drei Millionen US-Dollar auf Geheimkonten in der Schweiz in Verbindung gebracht. Auch über Konten in Liechtenstein sollen Gelder geflossen sein. Entsprechende Informationen würden derzeit ausgewertet.
Mitte Juli hatte die Tageszeitung »Folha de S. Paulo« von der Existenz eines Preiskartells berichtet, dem unter anderem der französische Alstom-Konzern, die spanische CAF und Siemens angehören sollen. Die Unternehmen hätten geheime Verabredungen bei Ausschreibungen zum Bau und zur Wartung von Zügen und U-Bahnen in São Paulo und der Hauptstadt Brasilia getroffen.
Wenige Tage nach den Enthüllungen beschuldigte die Zeitschrift »Istoé« den früheren Präsidentschaftskandidaten der PSDB und derzeitigen Gouverneur von São Paulo, Geraldo Alckmin, die Absprachen gegen Zahlung von Bestechungsgeldern in Höhe von mindestens 50 Millionen US-Dollar (38 Millionen Euro) toleriert zu haben. Das Geld soll in die Parteikasse geflossen sein.
Alckmin hatte angekündigt, vor Gericht für Entschädigungen für die durch das mutmaßliche Kartell zuviel in Rechnung gestellten Beträge zu streiten. Nach Berichten der Zeitung »O Estado do S. Paulo« könnten wegen der illegalen Verabredungen zwischen den Konzernen für Aufträge bis zu 30 Prozent mehr als marktüblich gezahlt worden sein. Genannt wird eine Summe von 577,5 Millionen Reales (189 Millionen Euro).
Die Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) von Präsidentin Dilma Rousseff fordert einen Untersuchungsausschuss; die Regierung bestreitet jede Verwicklung und nannte die Ermittlungen der Wettbewerbsbehörde CADE ein »Instrument politischer Polizei«.
Siemens hatte das Kartell selbst angezeigt, um sich vor Strafverfolgung zu schützen. Bereits seit dem vergangenen Jahr arbeite der Münchner Konzern »umfassend« mit den Ermittlern zusammen, wie »Folha« schreibt. Schon 2008 hatte ein Siemens-Mitarbeiter erste Hinweise auf Schmiergeldzahlungen geliefert. Gegenüber der Staatsanwaltschaft von São Paulo erklärte er laut »Istoé« damals: »Viele Jahre lang hat das Unternehmen Politiker, in ihrer Mehrzahl von der PSDB, und Direktoren des S-Bahn-Netzes CPTM bestochen.« Nachfolgende Untersuchungen ergaben aber keine konkreten Anhaltspunkte. Im Herbst 2010 tauchten dann erneut Verdachtsmomente auf.
In der jüngeren Vergangenheit war Siemens mehrmals in Korruptionsskandale verwickelt. Im November 2006 brachte die sogenannte Siemens-Affäre, einer der größten Korruptionsfälle der deutschen Wirtschaftsgeschichte, ein weltweites System von Schmiergeldzahlungen gewaltigen Ausmaßes ans Licht. Die damalige Siemens-Führung musste ihren Hut nehmen. Der Konzern wurde zu einer Geldbuße von 201 Millionen Euro verurteilt.
Bereits im Januar 2007 war Siemens wegen illegaler Preisabsprachen und Kartellbildung von der EU zu Strafzahlungen von 400 Millionen Euro verdonnert worden. Als Folge wurde ein Anti-Korruptionsprogramm beschlossen. Die neue Konzernführung unter Peter Löscher versprach, eher auf lukrative Geschäfte zu verzichten, als sich erneut illegaler Praktiken zu bedienen.
Löscher wurde in der vergangenen Woche nach einem Machtkampf vom bisherigen Siemens-Finanzchef Joe Kaeser abgelöst. Der Skandal in Brasilien hatte damit nichts zu tun. Löscher war über eine Serie von Rückschlägen und zuletzt über eine erneute Gewinnwarnung gestürzt.
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