Bei Anruf Urlaubsende

Personalplanung der Deutschen Bahn bundesweit in der Kritik

  • Hans-Gerd Öfinger, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 3 Min.
Während in Mainz die Züge wieder regelmäßiger rollen, forderte der Vorsitzende der Bahngewerkschaft EVG, Alexander Kirchner, beim Spitzentreffen mit der Konzernleitung der Deutschen Bahn und Betriebsräten mehr Mitsprache in der Personalplanung. Bahnchef Rüdiger Grube steht nach Anrufen bei Beschäftigten in der Kritik.

Es ist nicht alltäglich, dass ein Gewerkschaftschef die Personalmanager eines Unternehmens mitten im Sommer kurzfristig zum Spitzentreffen in die Gewerkschaftszentrale zitiert - und diese auch kommen. So war denn auch die Zusammenkunft zwischen dem Vorstand der EVG, Personalvorständen und Konzern- bzw. Gesamtbetriebsratsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG (DB) am Mittwoch in der Frankfurter Gewerkschaftszentrale kein »Business as usual«.

»Ich bin der Einladung gerne gefolgt«, versuchte DB-Personalvorstand Ulrich Weber es mit einer Flucht nach vorne: »Mainz ist ein Debakel, das nicht hätte passieren dürfen und das nicht mehr passieren darf.« Nun gehe es um eine »Versachlichung« der Diskussion. »Das entspricht unserem sozialpartnerschaftlichen Umgang«, betonte Weber und verwahrte sich gegen den »pauschalen Vorwurf, es gäbe keine Personalplanung«. Der Bahnkonzern habe in den vergangenen Jahren 20 000 Beschäftigte neu eingestellt.

Demgegenüber warnen Gewerkschafter, die Zahl der Neueinstellungen gleiche in vielen Bereichen die Abgänge etwa durch Pensionierung, Ausscheiden oder Tod nicht aus. »Wenn die DB den permanenten Warnungen unserer Kollegen Beachtung geschenkt hätte, wäre eine Situation wie in Mainz nie eingetreten«, ist EVG-Chef Kirchner überzeugt. Er hatte am Montag das Mainzer Stellwerk besucht und bezeichnete auf »nd«-Anfrage die Stimmung dort als »sehr angespannt, denn die Kollegen fühlen sich massiv unter Druck«. Manche Fahrdienstleiter hätten seit Jahresanfang »keine drei Tage am Stück« frei gehabt. »Mainz ist die Spitze des Eisbergs«, und sei als Folge eines Beinahe-Zusammenstoßes »plötzlich in den Fokus der Wahrnehmung« geraten, so Kirchner. Dabei gebe es auch in anderen Bereichen regelmäßig ähnliche Notfallsituationen. DB-weit seien acht Millionen Überstunden und neun Millionen nicht abgewickelte Urlaubsstunden aufgelaufen.

Als »Ding der Unmöglichkeit« kritisierte Kirchner, dass Beschäftigte, die »dringend Urlaub brauchen, vom obersten Konzernlenker persönlich« angerufen worden seien. Es stelle sich die Frage, ob das Unternehmen auf diese Weise seiner Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitern gerecht werde. Die Bahn rechtfertigte die Anrufe. Grube habe eine Handvoll Kollegen angerufen und sie darum gebeten, sich zu überlegen, ob sie nicht ihren Urlaub verschieben könnten, erklärte ein Bahn-Sprecher. »Ausdrücklich sollten sie eine Nacht darüber schlafen.«

Nicht nur in den Stellwerken könnten viele Schichten nicht mehr besetzt werden, kritisierte eine Betriebsrätin. Unter der »auf Gewinnmaximierung ausgelegten Geschäftspolitik« litten vor allem die Beschäftigten. »Sie schieben eine hohe Zahl an Überstunden vor sich her, arbeiten auch an freien Tagen und werden vielfach zum Urlaubsverzicht aufgefordert.«

Die EVG fordert mehr Mitbestimmung für Betriebsräte bei der Personalplanung und strebt eine entsprechende Selbstverpflichtung der DB AG an. »Wir geben erst Ruhe, wenn für unsere Kollegen nachweisbar tragfähige Lösungen gefunden sind«, unterstrich Kirchner. »Wir wollen die Reset-Taste drücken und die Personalplanung neu aufsetzen.«

In der EVG sind die Fahrdienstleiter in einer eigenen Fachgruppe organisiert. Diese beklagt seit längerem die Zustände auf den Stellwerken und die Überarbeitung der Beschäftigten. Für Mitte September bereitet sie eine bundesweite Fachtagung zum Thema vor. Kommentar Seite 4

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