Was von der Expo übrig blieb

Paris hat den Eiffelturm, Brüssel das Atomium - aber Hannover?

  • Ralf E. Krüger, dpa
  • Lesedauer: 6 Min.
Verfallene Pavillons, Luxus-Autohäuser und irgendwo dazwischen Uni-Gebäude: Auf dem einstigen Gelände von Deutschlands erster und einziger Weltausstellung in Hannover ist heute vom Glanz der alten Tage nur noch wenig zu sehen. Das Erbe der Expo 2000 steckt woanders.

Hannover. Ingrid Wähler schwelgt in Erinnerungen ans Jahr 2000 - bei ihr ist immer noch Expo. In ihrem Reich kommen Nostalgiker auf ihre Kosten, jeden Sonntag. Im Exposeeum nämlich hält ein ehrenamtlicher Verein auf rund 500 Quadratmetern die Erinnerung an Deutschlands erste und einzige Weltausstellung vor 13 Jahren wach. In einer Ecke grinst »Twipsy«, das bunte Maskottchen der Expo 2000, an der Wand hängt ein großformatiges Ölgemälde der damaligen Expo-Kommissarin Birgit Breuel. »Gerade kamen noch jede Menge Filme und Videos dazu«, sagt die Rentnerin.

Denn bis zum Jahreswechsel lagerten in einem Keller in Hannovers Südstadt 35 000 Akten, Videos, Verträge, Urkunden und Notizen. 500 Meter Regale, 2,40 Meter hoch. Wochenlang wurden sie von Mitarbeitern des Staatsarchivs gesichtet. Danach gingen 68 Tonnen Papier in den Reißwolf. 2500 Aktenordner dagegen behält das Staatsarchiv für künftige Forscher. Filme und Videos gingen ans Exposeeum.

Holland in Not

Als weltoffener und friedfertiger Gastgeber hatte sich das wiedervereinigte Deutschland 2000 von Juni bis Oktober in der niedersächsischen Landeshauptstadt präsentieren wollen. Das architektonische Erbe des fünfmonatigen Mega-Ereignisses steht am Rande des Messegeländes der niedersächsischen Landeshauptstadt. »Es war ein einziger Traum - sowohl das Ereignis wie auch der Job«, erinnert sich Dagmar Morcinek. Die damalige Mitarbeiterin im niedersächsischen Finanzministerium war im Planungsstab der Staatskanzlei von Anfang an dabei.

Sie zeigt auf das »World Trade Center«, in dem auch das Exposeeum untergebracht ist. »Da oben waren unsere Büros.« In dem Bürogebäude neben dem Deutschland-Pavillon residierten früher die Expo-Generalkommissarin Birgit Breuel und ihr Management. »Als wir anfingen, war das alles noch grüne Wiese hier«, erzählt Morcinek. Genau die macht sich dort heute wieder breit.

Gegenüber von dem einstigen Bürogebäude steht der Holland-Pavillon - während der Expo war er mit seinen Windrädern auf dem Dach und den blühenden Tulpen ein Hingucker. Heute ist er ein Symbol des Niedergangs. Sichtbar nagt der Verfall: Blätternder Putz, bröckelnder Beton, zerschlissene Planen. Von Nachhaltigkeit - dem Leitmotiv der Expo - ist hier am Beginn des sogenannten Boulevard der Europäischen Union nichts zu sehen. Am Eingang des Pavillons fixiert ein junger Mann einen Zaun. »Wir machen hier alles dicht, weil es dort zu gefährlich ist«, sagt er und deutet auf das rund 40 Meter hohe Gebäude hinter ihm.

Sprayer haben sich inzwischen daran abgearbeitet. Graffiti und ein aufgesprühtes Hakenkreuz sind an den Wänden zu sehen. Ein illegaler Besucher sei vor kurzem abgerutscht und habe sich den Arm gebrochen, erzählt der Monteur. »Nach dem Unfall gab es Auflagen vom Ordnungsamt«, berichtet er. Die Schäden am Gebäude lägen bei 3,5 Millionen Euro. Schließlich fällt sein Blick auf einen nagelneuen Ferrari, der mit röhrendem Auspuff die Bauruine passiert.

Der Flitzer kommt vom Autohaus um die Ecke - dort, wo einst der Schweiz-Pavillon stand. Teure Wagen der oberen Luxusklasse warten dort auf betuchte Käufer. Ein Autohaus findet sich auch im einstigen Frankreich-Pavillon. Innerhalb von zwei Jahren nach der Expo sollten die Pavillons neu genutzt oder abgerissen werden. Viele der Länder-Pavillons stehen heute noch und wurden vermietet oder verkauft. Der von Belgien oder Finnland etwa oder der für Konzerte und Veranstaltungen genutzte deutsche Pavillon.

Andere wiederum gammeln vor sich hin. Das marode Gebäude der Türkei etwa. Welfenprinz Ernst-August von Hannover gab hier einst einem drängenden Bedürfnis nach - und machte damit weltweit Schlagzeilen. Heute ist darüber nicht nur im übertragenen Sinn Gras gewachsen - es sprießt auch vor dem verschlossenen Eingang. Ein Stück des schmucken Kachel-Kunstwerks an der Fassade fehlt zudem.

Sepp Heckmann, der sich selbst als geistigen Vater des Expo-Abenteuers in Hannover sieht, spricht dennoch von Erfolg. »Deutlich über 90 Prozent aller Gebäude sind nachgenutzt, das gab›s noch nie bei einer Expo«, sagt der pensionierte Manager. Die Einbindung des Messe-Geländes, das fast 70 Prozent der Expo-Fläche ausmachte, habe zum hohen Wert der Auslastung erheblich beigetragen.

Heckmann war Mitglied im Lenkungsausschuss, der die Bewerbung Hannovers vorangebracht hat. Entstanden sei die Idee zur Expo im Jahr 1987. Damals wurde diskutiert, wie die Messe AG, die gerade 40-jähriges Jubiläum feierte, weiterentwickelt werden könnte. »Und wir überlegten, was zum 50. Jubiläum machbar wäre.« Nach anfänglicher Zurückhaltung gab die Landesregierung grünes Licht: Heckmann leitete Hannovers Bewerbung ein und verteidigte sie gegen Skeptiker. Die niedersächsische Stadt konkurrierte schließlich mit Miami, Rio, Hongkong, Venedig, Toronto und Paris.

13 Jahre später verweist Heckmann auf die offizielle Bilanz: Volkswirtschaftlich war die Expo erfolgreich, betriebswirtschaftlich weniger. Denn trotz Steuereinnahmen von vier Milliarden Euro auf der Haben-Seite, gilt die Expo in der Gesamtbetrachtung als Riesenverlust, die dem Steuerzahler einen Schuldenberg von mehr als einer Milliarde Euro hinterließ. Von den erwarteten 40 Millionen Besuchern kamen zudem nur 18 Millionen. Heckmann betont jedoch, dass er stets von dieser Zahl ausgegangen sei - erst später hätten Berater die Schätzungen hochgerechnet.

Und das sichtbare Erbe? Paris hat den Eiffelturm, Brüssel das Atomium - aber Hannover? Heckmann lächelt. Für ihn ist der Großteil des Expo-Erbes die moderne Infrastruktur der Landeshauptstadt. »In die Stadt sind unglaublich viele Investitionen geflossen, die es ohne Expo nie gegeben hätte.« Er verweist etwa auf die Kronsbergsiedlung unweit des Expo-Geländes als Pilotprojekt für nachhaltiges Bauen, sechsspurige Autobahnen, den modernisierten Hauptbahnhof oder die Flughafen-Erweiterung.

Auf der Plaza des ehemaligen Expo-Areals, wo sich zwischen dem Messegelände und den Pavillons einst Menschen unterschiedlichster Kulturen tummelten, sitzt inzwischen die Hochschule Hannover mit ihrer Fakultät Medien und Design. Wenn es dort heute nicht gerade eine Großveranstaltungen gibt, wirkt der Platz trostlos. An den Semesterferien liegt das offenbar nicht.

»Eigentlich ist es hier immer so leer, das wirkt ein wenig wie ein Industriegelände«, sagt die Architektur-Studentin Esmah Ghaffar. »Eine Wiese wäre schon sehr schön - die Bäume wirken so eingeengt«, findet Janosch Rohrßen, der Mediendesign studiert. Campus-Feeling sieht also anders aus. »Ab einer bestimmten Uhrzeit gibt es hier auch nichts mehr zu essen, da ist hier nichts mehr los«, sagt die Studentin Mai Pham.

Pavillons in Privatbesitz

Ist das alte Konzept der Weltausstellung im Zeitalter des Internets überhaupt noch tragbar? Ingrid Wähler verteidigt die Idee Expo. »Das Konzept hat sich geändert in den vergangenen 160 Jahren, heute werden keine Maschinen mehr präsentiert und keine neuen Errungenschaften.« Stattdessen gehe es um ein friedlich-fröhliches Zusammentreffen von Menschen aus aller Welt.

Von vergammelnden Pavillons lässt sich Wähler nicht beirren: »Dass wir einige Problemfälle haben, hängt damit zusammen, dass die Pavillons in Privatbesitz sind und die Leute, die sie damals gekauft haben, nun finanzielle Schwierigkeiten haben.«

Und dann nimmt sie den Besucher noch kurz mit in eine andere Welt, zeigt Porzellan aus dem Fürstentum Monaco, Bernstein aus Litauen, Schmuckkästen aus Indien. »Das sind Geschenke an die Bundesrepublik Deutschland, nicht an Hannover - und die verwahrt unser Verein.«

Finanziert wird das Exposeeum über Eintrittsgelder, das aber mehr schlecht als recht. Der Verein sucht neue Sponsoren. »Das ist die Last, die unser Verein auch trägt, weil sich sonst niemand drum kümmert«, sagt Wähler.

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