Der Staat und die kleinen Religionsgemeinschaften

Bei der 2. Langen Nacht der Religionen in Berlin öffnete eine Vielzahl von Glaubenseinrichtungen ihre Türen

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 3 Min.
Das »Forum offene Religionspolitik« diskutierte am Wochenende in Berlin über die Haltung des deutschen Staates zu den großen und vor allem kleinen Religionsgemeinschaften.

Rund 100 Kirchen, Synagogen, Moscheen und andere Gotteshäuser öffneten zur 2. Langen Nacht der Religionen in Berlin ihre Türen. Auch Humanisten und Atheisten nutzten die Gelegenheit, um für ihre freigeistigen Ideen und Vorstellungen zu werben. Auf Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung und des Vereins »Forum offene Religionspolitik«, in dem rund 20 Bürger aus verschiedensten Glaubensrichtungen engagiert sind, wurde über die Stellung des Staates zu den großen und vor allem den kleinen Religionsgemeinschaften debattiert.

Denn während die großen Kirchen selbstverständlich als Körperschaften des öffentlichen Rechtes anerkannt sind, kämpfen viele kleinere Gemeinschaften um diese Form der Anerkennung. Ohne diesen Status sehen sie sich ungleich behandelt. Denn mit dem Körperschaftsstatus erhalten Glaubensgemeinschaften Vorteile, etwa das Recht zur Erhebung von Steuern und auf eigene Beamte. Als Körperschaft anerkannte Religionsgemeinschaften sind zur Seelsorge beim Militär, in Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen öffentlichen Einrichtungen zugelassen. Bei staatlichen Planungsverfahren müssen sie miteinbezogen werden. Und für Missionsreligionen nicht uninteressant: Eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes darf die Melderegister einsehen. Das automatische Recht auf einen eigenen Religionsunterricht an staatlichen Schulen ergibt sich daraus jedoch nicht. Das Beispiel des islamischen Religionsunterrichtes zeigt, dass auch nicht als Körperschaft anerkannte Glaubensgruppen Zugang zur Schule erhalten können. Aber auch da gebe es immer noch Ungleichbehandlungen und Verletzungen der Religionsfreiheit.

»Beispiel Nordrhein-Westfalen. Wer bestimmt die Inhalte des islamischen Religionsunterrichtes? Im Koordinationsrat sitzen muslimische Verbandsvertreter, aber auch Mitglieder, die der Staat entsendet«, erregt sich Sven Speer, Vorsitzender des »Forum Offene Religionspolitik«. Der Staat bestimme in NRW mit, was im Islamischen Religionsunterricht passiert. »Es gäbe einen Aufschrei im Land, wenn der Staat mitbestimmen würde, was im römisch-katholischen Unterricht passiert.«

Im Grunde würde es einem weltanschaulich neutralen Staat gut anstehen, wenn jede Religionsgruppe ihren eigenen Unterricht an den Schulen gestalten dürfte. In Hessen zum Beispiel gibt es zehn verschiedene Religionsunterrichte, erteilt etwa von Freireligiösen, Alewiten, Altkatholiken. »Es funktioniert«, sagt Speer.

Auch müssten die westdeutschen Länder dem Beispiel Berlins oder Brandenburgs folgen, endlich ein konfessionsfreies Fach anzubieten, das alle Schüler obligatorisch erreicht. Denn in den meisten westlichen Bundesländern ist der konfessionelle Religionsunterricht immer noch ordentliches Lehrfach. »Alle Schüler, die sich etwa in Bayern davon abmelden, werden in einen Ethikunterricht zusammengefasst. Das ist aber ein Ethikunterricht von minderem Wert ohne ordentliche Lehrerbildung. Das ist sozusagen ein Restfach«, bemängelt Helmut Fink, Vorsitzender des Koordinierungsrates säkularer Organisationen in Deutschland.

Nicht nur beim Zugang zu Schulen und anderen öffentlichen Institutionen wird dem Staat Bevorzugung der großen Religionsgemeinschaften vorgeworfen. Auch in der Rechtsfindung werde mit zweierlei Maß gemessen. So werde etwa das Kruzifix nicht als religiöses, der Mission dienendes, sondern als kulturelles Symbol definiert, das etwa in Klassenräumen zu tolerieren sei. Das Kopftuch der Lehrerin werde dagegen als politisches Symbol des radikalen Islamismus und als Zeichen zur Unterdrückung der Frau gewertet. Hier müsse sich der Staat wertneutraler verhalten, fordert der religionskritische Politologe Speer.

Aber auch er muss anerkennen, dass der religiös neutrale Staat nun nicht alles selbst machen kann. Viele Schulen und vor allem Krankenhäuser und Stifte entstammen jahrhundertealter christlicher Trägerschaft. Dass der Staat diese Arbeit bis zu 90 Prozent kofinanziert, entspricht somit der Logik des Subsidiaritätsprinzips. Schließlich werden ja humanistische Einrichtungen mit exakt dem gleichen Satz unterstützt. Aber in vielen Landstrichen besitzen die Kirchen oftmals eine monopolartige Stellung. Viele Bürger haben etwa bei der Suche nach einem Altenheim oder Kindergarten nicht die Wahlfreiheit zwischen einer konfessionellen und einer weltanschaulich neutralen Institution. Speer fordert daher die staatliche Garantie, dass jeder Bürger jeweils zwischen verschiedenen Angeboten wählen können muss. Angesichts der Realität vor allem in ländlichen Regionen ein geradezu frommer Wunsch.

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