Kampf gegen Fracking erreicht England
Im südenglischem Balcombe wehren sich Anwohner und KlimaaktivistInnen gegen Erdgasförderpläne
Kurz hinter Balcombe ist ein neues Dorf entstanden. Dicht gedrängt stehen Zelte, in denen einige hundert AnwohnerInnen, AnarchistInnen und UmweltaktivistInnen übernachten. Nahe dem kleinen Städtchen im Süden Englands haben vor ein paar Wochen Probebohrungen für Öl und Gas begonnen. Seitdem ist fast die gesamte Bevölkerung Balcombes auf der Straße und blockiert Laster, die Material für die zweiten Probebohrungen auf der Suche nach Schiefergas in Großbritannien anliefern. In ihrem Protest unterstützt werden die BewohnerInnen von Hunderten KlimaaktivistInnen. Und sie hatten bereits Erfolg: Die Firma Cuadrilla hat ihre Arbeit zwischenzeitlich unterbrochen.
Die meisten BewohnerInnen kommen zum ersten Mal mit Protestkultur in Berührung, sind sich aber mit den häufig jahrelang erfahrenen KlimaaktivistInnen einig: »Alle demokratischen Mittel haben uns nicht geholfen. Wenn wir unser Trinkwasser retten wollen, brauchen wir nun massenhaft direkte Aktionen«, sagt Kenny Lloyd, eine Anwohnerin. Als eine Megaphondurchsage über das Camp schallt, die den nächsten Laster ankündigt, sammeln sich die Menschen in Sekundenschnelle auf der Straße und haken sich unter. Zu Sambamusik wird die Parole »What does Cuadrilla gives you? - Cancer!« (Was bringt euch Cuadrilla? - Krebs!) ausgerufen. Am Ende macht die Polizei den Weg für den Laster frei. So geht das fünf- bis zehnmal am Tag.
Das auf Fracking spezialisierte australische Unternehmen Cuadrilla hat für sechs Wochen die Erlaubnis für Probebohrungen in Balcombe erhalten. In dieser Zeit muss es in den unterirdischen Gesteinsschichten Öl oder Gas finden und die kommerzielle Förderung beantragen. Wird Schiefergas gefunden, wird eine Mischung aus Wasser, Sand und Chemikalien in den Boden gepresst, um das eingeschlossene Gas herauszulösen. Das Verfahren ist umstritten, da unter anderem eine Kontaminierung des Trinkwassers befürchtet wird.
Die Proteste in Südengland schmücken derzeit die Titelseiten großer nationaler Zeitungen: Balcombe ist die Frontlinie bei der Auseinandersetzung um die Zukunft des Frackings. Die Aktivist-Innen hoffen zum einen, die Arbeiten von Caudrilla so lange verzögern zu können, dass das Unternehmen in diesen sechs Wochen nicht bis zur Beantragung kommt. Für viele ist auch ein kompletter Rückzug der Frackingunternehmen aus Großbritannien denkbar, und es sieht so aus, als ob eine große neue Bewegung entstünde - ähnlich der in den 1990ern, die sich dem neoliberalen Straßenbauprogramm Margaret Thatchers mit Baumhausdörfern in den Weg stellte. Die Voraussetzungen dafür sind jedenfalls gut: Wegen der Dezentralität der geplanten Bohrungen wären viele Menschen in unterschiedlichen Teilen des Landes direkt betroffen - und diese könnten sich genauso massiv wehren wie in Balcombe.
Lloyd war von Anfang an mit ein paar AnwohnerInnen bei den Protesten dabei. »Wir wollten uns nicht vorwerfen lassen, nichts gegen die Vergiftung unseres Trinkwassers getan zu haben.« Erste Zelte am Straßenrand wuchsen langsam zu einem Zeltdorf. Von der spontanen Dynamik waren dann auch AktivistInnen überwältigt, die gerade das »Reclaim the Power«-Camp organisierten, sodass sie das Aktionscamp, das eigentlich nahe des Gaskraftwerks »West Burton« westlich von Sheffield in Nordengland hätte stattfinden sollen, kurzerhand nach Balcombe verlegten. Der Name des Camps besteht aus einem Wortspiel, da »Power« gleichzeitig für »Energieerzeugung« und »Macht« steht. Die Frage einer sinnvollen Energieerzeugung wird also von den AktivistInnen des Camps als ein Prozess der »Selbstermächtigung von unten« gesehen. Mit der Unterstützung des lokalen Widerstandes durch das fünftägige Aktionscamp soll der Protest auch in einen weiteren Kontext gestellt werden: In England werden gerade mehr als 30 neue große Gaskraftwerke geplant, die später auch durch Fracking gewonnenes Gas verfeuern sollen. »Es geht hier um die Frage, wer über unsere Energieversorgung entscheidet, und ob wir weiterhin an einer schwerfälligen zentralisierten Energieversorgung mit fossilen Großkraftwerken festhalten wollen, oder ob wir den drohenden Klimawandel zum Anlass nehmen wollen, endlich ein kluges und dezentrales System lokal verwalteter Kleinkraftwerke umzusetzen«, sagt Nicky Clarck, eine Organisatorin des Camps.
Am Montag erreichte der Protest seinen Höhepunkt. AktivistInnen blockierten die Einfahrt zum Bohrungsgelände sowie den Hauptsitz Cuadrillas in Lichfield und das Büro seines PR-Unternehmens in London. Die Polizei löste die Blockade in Balcombe schließlich gewaltsam auf und nahm einige DemonstrantInneen fest.
Sollten die Frackingpläne nicht verhindert werden können, blüht der Region eine schwarze Zukunft, sagt Lloyd. »Die ganze Landschaft wäre von Bohrtürmen übersäht.«
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