Bis die Polizei kommt

Wie frisch ist der Operettenwind an der Spree? - Vorläufige Bilanz eines Richtungskampfs

  • Kasimir Knopf
  • Lesedauer: 4 Min.

Man darf schon staunen, was da in Berlin gerade vor sich geht: »Richtungskämpfe« wäre das passende Wort. Nachdem die Regisseure Barrie Kosky und Herbert Fritsch auf jeweils unterschiedliche Weise im Frühsommer gezeigt hatten, wie witzig und zeitgemäß Operette sein kann - mit der Paul-Ábrahám-Jazz-Ausgrabung »Ball im Savoy« (1932) an der Komischen Oper und mit der Trash-Version von Paul Linckes Mondfahrtposse »Frau Luna« (1899) an der Volksbühne -, setzten nun gleich zwei Produzenten zum Gegenschlag an. Sie wandten sich ab von der vorwärtsgedachten Form des Genres, die in der Behrenstraße und am Rosa-Luxemburg-Platz für ausverkaufte Häuser sorgt. Stattdessen versuchten sowohl die Deutsche Entertainment AG (DEAG) als auch das Festival Rüdersdorf den Schritt zurück - und erlitten eine Bruchlandung.

Die Chefs der DEAG dachten, der momentane Operetten-Boom sei eine Lizenz zum schnellen Geldverdienen und buchten kurzentschlossen eine Budapester Produktion der »Csárdásfürstin«. Die sollte als am Wannsee laufen, über zehn Vorstellungen verteilt. Dann wurde das Ganze ebenso kurzentschlossen auf eine einzige Aufführung in der Waldbühne reduziert, wo immerhin 17 000 Menschen Platz finden. Nur: Kaum jemand kam, die DEAG blieb auf zwei Dritteln ihrer Karten sitzen - auch deshalb, weil die »Csárdásfürstin« (1915) zwar genial, aber mittlerweile eines der abgenudeltsten Stücke überhaupt ist. Und: weil das Budapester Operettentheater alles andere als glitzernde Hauptstadtunterhaltung versprich, was durch die Besetzung der Titelrolle mit Ex-Musical-Diva Anna-Maria Kaufmann noch verstärkt wurde. Neben Dagmar Manzel und Katharine Mehrling an der Komischen Oper musste die einstige »Phantom der Oper«-Lady mit ihrer scheppernden Spitzentönen via Playback wirken wie ein Geist aus vergangenen Zeiten. Das wollten sich wenige antun -, was eine erfreuliche Nachricht für Operettenfans ist, die an der lange stagnierenden Situation mit den ewig gleichen Kaffeefahrtenbesuchern zu verzweifeln drohten.

Den Spagat zwischen K&K- (Kaffee-und-Kuchen-) Ambiente und neuen Interpretationsansätzen wollten die Operettenmacher in Rüdersdorf, Jörg Lehmann und Stephan Wapenhans, zumindest versuchen. Ihr Plan: Zum Geburtstag der Walter-Kollo-Operette »Wie einst im Mai« (1913) sollte im Garten des Museumparks eben dieses Stück neu aufgelegt werden. Weil es um Liebe über Generationen und wechselnde Gesellschaftsmodelle geht, dachte sich Regisseur Peter Zeug, er lässt das Ganze mit einer Homo-Ehe ganz heutig enden.

Das aber rief sofort die Komponisten-Enkeltochter Marguerite Kollo auf den Plan. Sie will die Stücke ihrer Familie nur als schöne heile Welt erlauben, in der es Schwulitäten nicht gibt. Dabei hat bei der Uraufführung Power-Lesbe Claire Waldoff geschmettert: »Die Männer sind alle Verbrecher!« Egal, Frau Kollo verbot die Aufführung und drohte sogar, mit der Polizei einzurücken, falls doch jemand das Werk in Rüdersdorf spielen sollte. Stattdessen gab man im Juli und gibt nun noch drei Mal Ende August eine Revue mit dem Titel »Damals im Mai«: mit viel Kollo-Musik und dezenten zeitpolitischen Anspielungen.

Dass die so dezent ausfallen, ist schade, denn Kollos Sohn Willi komponierte eifrig für die Nazis, was er später unter den Teppich zu kehren versuchte und was Frau Kollo in dem von ihr herausgegebenen Buch »Willi Kollo: Als ich jung war in Berlin« nur aus Versehen in einem Nebensatz erwähnt. Ein kritischer politischer Umgang mit Operette ist der alten Operettengarde aus dem Westen ein Dorn im Auge. Schließlich passt der Horror der NS-Zeit schlecht zu Bienenstich und Jakobs Krönung.

Dass man beides zusammenbekommt, hat Barrie Kosky eindrücklich mit dem »Ball im Savoy« gezeigt. Die Menschen stürmten die Komische Oper, um dieses nachdenkliche Entertainment zu sehen. Das deutet darauf hin, dass es ein neues Operettenpublikum gibt. Es ist nicht mehr die Ex-Fangemeinde des Metropoltheaters, wo solch eine politisierte Operettendeutung ebenfalls eher die Ausnahme war. Es ist auch nicht das Kaffeefahrtenpublikum aus Charlottenburg, das man versuchte, für die »Csárdásfürstin« zu ködern. Es ist vielmehr eine junge Zuschauerschicht, die das Genre neu entdeckt hat.

Während bei der DEAG am vergangenen Samstag also vor leeren Sitzen (hoffentlich ein letztes Mal) mit Federboas gewedelt werden durfte, kann man sich in Berlin auf zwei zukunftweisendere Kálmán-Premieren freuen: Im Dezember gibt es an der Komischen Oper die Charleston-Operette »Herzogin von Chicago« (1928) und ein Jahr später die Cowboy-Operette »Arizona Lady« (1954). Dazwischen noch die NS-Operette »Clivia« (1933) von Nico Dostal, jeweils mit Szenestars wie Gayle Tufts und den Geschwistern Pfister. Das verspricht weiteren frischen Operettenwind an der Spree, der hoffentlich bis nach Rüdersdorf weht. Denn sowohl im dortigen Museumspark als auch im Kulturhaus soll in Zukunft mehr Operette folgen. Sogar an DDR-Raritäten wird gedacht. Und die hat bislang nicht mal Mister Kosky auf dem Radar!

»Damals im Mai« im Museumspark Rüdersdorf. 23. (19 Uhr), 24. und 25. August (16 Uhr). Kartentelefon: (033 638) 79 97 97

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel ist eine geänderte Version des Textes vom 22. August 2013

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