»6. April« meldet sich zurück
Jugendbewegung kritisiert Entlassung Mubaraks / Muslimbrüder protestieren weiter
Am Freitagmittag ist es ruhig in Kairo, und anderswo in Ägypten, doch der Schein trügt. Im Zentrum der Hauptstadt zeigen die Sicherheitskräfte wieder verstärkt Präsenz. Gerade haben sich in den Moscheen die Gläubigen zum Freitagsgebet versammelt. Niemand weiß genau, was danach passieren wird.
Die Muslimbruderschaft hat erneut zu Demonstrationen aufgerufen. Gegen die andauernde Inhaftierung von Mohammed Mursi, dem abgesetzten Präsidenten aus ihren Reihen. Gegen den Tod von 36 inhaftierten Muslimbrüdern, die bei einer Befreiungsaktion in Polizeigewahrsam ums Leben kamen. Aber auch gegen das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Führung der Muslimbrüder: Gerade erst, in der Nacht zum Freitag, hatten Sondereinheiten der Polizei wieder vier hochrangige Vertreter der Organisation festgenommen.
Man werde sich nicht beugen, sagen ihre Sprecher. Es ist das, was sie immer sagen, wenn sie gefragt werden. Doch trotz aller Zuversicht wird zunehmend offensichtlich: Die Verhaftungswelle hat ihnen zugesetzt. Und die massive Gewalt rund um das Massaker der Militärs am 14. August. Die Protestwoche, zu der die Muslimbrüder nach dem Freitagsgebet vor einer Woche aufgerufen hatten, ist weitgehend ausgeblieben.
Sehr häufig ist von erklärten Unterstützern der Muslimbrüder zu hören, dass die eigene Opferbereitschaft ausgeschöpft ist. Auch die von radikalen Islamisten ausgehende Gewalt gegen Christen, gegen Polizisten auf dem Sinai scheint viele Moderate entfremdet zu haben. Deutlicher als die einzelnen Statements auf der Straße sind die Kommentare im Internet: Man vermisst eine deutliche Distanzierung der Führung vom radikalen Rand innerhalb und außerhalb Organisation.
Demonstrieren wollte am Freitag aber auch die Jugendbewegung »6. April«: Sie hatte zuvor die Entlassung von Expräsident Hosni Mubarak aus dem Gefängnis scharf kritisiert. »Mubarak ist ein Krimineller, ganz gleich, ob er vom Gericht freigesprochen wird. Er hat Verbrechen gegen das ägyptische Volk begangen«, sagte Sprecher Khaled al-Masri der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu.
Doch um diese Gruppe, die einst auf Facebook ihren Anfang nahm, und dann maßgeblich zu den Massenprotesten beitrug, die 2011 zur Absetzung Mubaraks führten, ist es still geworden. Sie hat massiv an Einfluss verloren. Als sie am Donnerstag zu Demonstrationen vor den Botschaften von Katar und den USA aufrief, kamen nur wenige Demonstranten, um gegen die »Einmischung des Auslandes« zu demonstrieren. »Wir wollen zeigen, dass wir dazu in der Lage sind, so lange auf Hilfe zu verzichten, wie sie dazu benutzt wird, uns unter Druck zu setzen und den Willen des Volkes zu ignorieren«, sagte einer der Sprecher.
Zumindest Katar hat seine Hilfen trotz seiner Kritik am Umsturz im Nilstaat nicht eingestellt. Am Freitagmorgen traf ein Tanker mit einer Lieferung Erdgas ein, die das Emirat auf der arabischen Halbinsel Ägypten geschenkt hat. Es war bereits die zweite Lieferung seit der Absetzung Mursis. Ein dritter Tanker habe sich, so ein Sprecher der Regierung in Doha, am Donnerstag auf den Weg gemacht; zwei weitere Lieferungen würden bis Mitte September losgeschickt.
Die Gaslieferungen werden in Ägypten dringend benötigt. Finanzexperten gehen davon aus, dass die zugesagten Finanzhilfen aus arabischen Ländern nicht ausreichen werden, um das Loch im Staatshaushalt und den wirtschaftlichen Schaden der Unruhen zu decken.
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