Wahlkampf auf Kosten der Sozialkassen
Gesetzliche Krankenversicherung und Bundesagentur für Arbeit schreiben wegen Haushaltssanierung rote Zahlen
Die jüngste Freude über staatliche Finanzüberschüsse in Rekordhöhe wird nicht von allen Trägern der öffentlichen Hand geteilt: Sowohl die Krankenkassen als auch die Arbeitslosenversicherung sind im ersten Halbjahr 2013 nämlich in die roten Zahlen gerutscht. So hat die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zwischen Januar und Juni rund 300 Millionen mehr ausgegeben als eingenommen. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) weist knapp eine Milliarde Euro Defizit auf. Das geht aus bisher unveröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor.
Eines haben beide Zweige der Sozialversicherung gemeinsam: Wesentlich beigetragen hat zur Verschlechterung ihrer Finanzsituation der Zugriff des Bundes. Er hat sich bei Beitragszahlern, Arbeitslosen und Patienten bedient - offenbar mit dem Ziel, kurz vor der Bundestagswahl haushaltspolitisch zu glänzen. In der Tat konnte der Bund nach den aktuellen Daten aus Wiesbaden sein Finanzergebnis 2013 um knapp sechs Milliarden Euro verbessern - und damit deutlich mehr als Länder, Kommunen oder Sozialkassen.
Insgesamt verschiebt der Bund damit im laufenden Jahr mindestens 6,5 Milliarden zu seinen Gunsten. Damit sind die Reserven der Sozialversicherung für schlechtere Zeiten in Gefahr. Je rund 30 Milliarden haben GKV und Rentenversicherung auf der Hohen Kante, doch nur 1,5 Milliarden dürfte die BA Ende 2013 behalten. Die Folgen sind voraussichtlich weitere Kürzungen bei den Leistungen.
Schaut man sich die aktuellen Zahlen der Behörde einmal genauer an, wird deutlich, dass die jüngste Entwicklung sehr differenziert ausfällt. Die Krankenkassen hatten im gesamten vergangenen Jahr noch hohe Überschüsse von mehr als fünf Milliarden Euro verbucht. Auch im ersten Quartal 2013 gab es noch schwarze Zahlen. Die Wende kam im Frühjahr - trotz anziehender Konjunktur.
Aber die GKV muss mittlerweile mit zwei externen Belastungen fertig werden: Zum einen wird der Bund seinen Zuschuss zur Abdeckung versicherungsfremder Kosten im laufenden Jahr um gut zwei Milliarden Euro kürzen. Zum anderen müssen die Kassen den Wegfall der Praxisgebühr im Umfang von ebenfalls rund zwei Milliarden verschmerzen.
Bei der BA reduziert der Bund ebenfalls sein Engagement um 3,5 bis 7,3 Milliarden. Die Differenz beider Zahlen hat eine Vorgeschichte: 2007 senkte die Bundesregierung den Beitragssatz zur BA kräftig. Um die hohen Ausfälle bei den Einnahmen wenigstens zu einem Teil zu kompensieren, bekam die Nürnberger Behörde einen Bundeszuschuss in Höhe des Aufkommens aus einem Prozentpunkt der Mehrwertsteuer - zuletzt gut sieben Milliarden.
Dieser Zuschuss ist 2013 ersatzlos gestrichen. Aber auch hier gewährte der Bund eine Teilkompensation der Ausfälle: Der so genannte Eingliederungsbeitrag, mit dem sich die BA an den Kosten von Hartz IV beteiligen soll, wird ebenfalls gestrichen und entlastet dadurch Nürnberg um 3,8 Milliarden. Der Haken dabei: Der Verwaltungsrat der BA hält diesen Eingliederungsbeitrag von Anfang an für nicht rechtmäßig. Arbeitgeber und DGB haben daher gemeinsam beim Bundesverfassungsgericht dagegen geklagt.
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