Mehr als Rohre und Kabel

In Hamburg tobt ein erbitterter politischer Kampf um den Rückkauf der Energienetze

  • Folke Havekost und Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 5 Min.
Am 22. September stimmen die Hamburger parallel zur Bundestagswahl darüber ab, ob die Stadt das Strom-, Fernwärme- und Gasleitungsnetz vollständig erwerben soll oder es bei dem 2012 für 543 Millionen Euro gekauften 25,1-prozentigen Anteil bleibt. In der Hansestadt tobt ein erbitterter Kampf über das Für und Wider des Rückkaufs.

Es ist einer der letzten heißen Sommerabende in der Stadt, mehr als 100 Besucher haben sich im Versammlungsraum des Alternativen Wohlfahrtsverbands im Stadtteil Altona eingefunden. »Der Kaufpreis trifft zunächst einmal keine Aussage über die Wirtschaftlichkeit einer Investition«, referiert Christoph Beer, der ein Gutachten zum Rückkauf der Hamburger Energienetze erstellt hat. Der Betriebswert tritt gegen eine Zahl an: Zwei Milliarden. Die SPD schreibt die Ziffern gerne aus, weil sie ihr das beste Argument gegen einen Rückkauf scheint: 2 000 000 000 Euro. So viel soll der Rückkauf der Netze kosten, sagt Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), als er die Kampagne der Sozialdemokraten für ein Nein vorstellt: »Die Stadt kann sich das nicht leisten.«

»Zwei Milliarden für Netzkauf? Nicht mit meinem Geld«, steht in großen Lettern in Zeitungsanzeigen und auf Plakaten. Der Position des Senats und der SPD-Mehrheit hat sich eine illustre Gemeinde angeschlossen, die die Kampagne mitfinanziert: Bund der Steuerzahler, Handwerkskammer, Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie und diverse Unternehmensverbände. Außerhalb der Parteien verlaufen die Frontlinien recht deutlich: Die Verbraucherzentrale sagt Ja, die Handelskammer Nein. Die Mietervereine sagen Ja, der Grundeigentümerverband sagt Nein.

Sprachrohr der Volksentscheid-Initiatoren von »Unser Hamburg - unser Netz« ist der Hamburger BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch, den Beobachter als zurzeit einzigen ernstzunehmenden politischen Gegner des Bürgermeisters ausgemacht haben. »Es geht in allen Modellen darum, Fremdkapital in Eigenkapital umzuwandeln«, wirbt Braasch für ein Ja. Die Initiative plant einen kreditfinanzierten Rückkauf; durch die günstige Zinssituation ließen sich die Tilgungsraten über die jährlichen Gewinne finanzieren. Mit den Netzen für Strom, Gas und Fernwärme sei »unterm Strich ein Gewinn von ungefähr 100 Millionen Euro möglich«, kalkuliert Braasch. »Vattenfall hat mit den Netzen 120 Millionen Euro Gewinn gemacht«, argumentiert der grüne Fraktionschef Jens Kerstan unterstützend. Der Bürgermeister spricht hingegen von einem »unsicheren Markt«.

Kerstan fürchtet, dass sich der Senat auch bei einem positiven Volksentscheid beim von der EU vorgeschriebenen Ausschreibungsverfahren 2014 nur zögerlich beteiligen werde. »Es wäre ein Skandal, wenn der Senat nur eine halbherzige Bewerbung betreiben würde, um vorsätzlich gegen Vattenfall zu verlieren«. Sein Gegenpart Scholz verweist darauf, dass die Beteiligung an den Netzen ausreichend für politische Einflussnahme zugunsten der Energiewende sei. Nur für »Kabel und Rohre« lohne sich eine Investition in zehnstelliger Höhe nicht, argumentiert der Bürgermeister. Umweltschützer Braasch widerspricht vehement: »Den Netzen wird in der Fachliteratur mittlerweile die Schlüsselrolle für die Energiewende gegeben, weil sie für die erneuerbaren Energien fit gemacht werden müssen. Vattenfall setzt zentral auf Kohle und hat gar kein Interesse an einem Umbau.«

Durch die Versammlungsreihen geht eine Unterschriftenliste gegen den von Vattenfall beabsichtigten Tagebau im brandenburgischen Welzow-Süd. Die Underdogs lehren die Großkonzerne das Fürchten - dieses Bild ist durchaus erwünscht. Die lokale Ska-Band Rantanplan hat den »Rauch-Haus-Song« von Ton Steine Scherben umgedichtet: »Und Hamburg schreit es laut: Wir schalten euch jetzt aus! Das ist unser Netz - schmeißt doch endlich Vattenfall und E.on aus Hamburg raus!«

Daneben betonen die Initiatoren, dass Hamburg keine einsame Insel oder gar ein gallisches Dorf sei. »Rekommunalisierung ist gängige Praxis von Flensburg bis zum Bodensee«, verweist Braasch auf rund 170 Kommunen, die seit 2007 die Energieversorgung wieder in die eigenen Hände genommen haben. Es ist ja auch eine grundsätzliche Frage, ob Versorgungsbetriebe öffentlich oder privat sein sollen, ob die seit den 1990er-Jahren fortschreitende Enteignung der Bürger zurückgenommen werden soll. »Machen Sie sich ein eigenes Bild von diesem im Detail komplizierten, aber im Grundsatz doch relativ einfachen Volksentscheid«, fordert Braasch auf der Infoveranstaltung.

Die in der Hansestadt allein regierende SPD steht in dieser Frage an der Seite von CDU und FDP, die ebenfalls für ein Nein plädieren. »Wir brauchen keinen VEB Netze in Hamburg«, wettert CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich in der Bürgerschaft. Grüne und LINKE setzen sich für ein Ja ein. LINKEN-Fraktionschefin Dora Heyenn wirft der SPD »eine bewusste Irreführung der Bevölkerung« vor: Schon der 25-Prozent-Rückkauf sei über die Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement HGV finanziert worden und habe den Haushalt nicht belastet. »Viele denken jetzt, der Rückkauf würde zu Lasten von Kitas, Jugendeinrichtungen und Sozialen Diensten erfolgen. Doch das ist eine Lüge!«

Ein Prominenter sitzt zwischen den Stühlen: Der eigenwillige SPD-Altbürgermeister Henning Voscherau hat sich zwar für einen Rückkauf ausgesprochen, verwahrte sich aber dagegen, dass die Initiative mit seinem Bild wirbt. Renegaten gibt es auch unter den Genossen in den Bezirken Eimsbüttel und Wandsbek. Dort hatten sich linke Parteimitglieder im Blättchen »Hamburger Diskurs« für den kompletten Rückkauf ausgesprochen. Nun ärgern sich die Spitzen der in Hamburg 10 000 Mitglieder zählenden Partei über die beiden Querköpfe. Für Ärger - allerdings bei den Rückkauf-Befürwortern - hatte auch eine von der Schulbehörde für Erstwähler herausgegebene Broschüre gesorgt. Sie wurde zurückgezogen, weil sie zu parteiisch für ein Nein geworben hatte.

Am Ende entscheidet der Wähler. Um einen vollständigen Rückkauf zu beschließen, müssen am 22. September mehr Ja-Stimmen zusammen kommen als die Hälfte der Stimmen für die in den Bundestag einziehenden Parteien. Die kritische Marke dürfte bei etwa 450 000 Stimmen liegen. Eine Umfrage der Universität Hamburg ermittelte im Juni 58 Prozent Unterstützung für die Initiative.

Foto: imago/stock&people

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