Die Warteliste des Professor O.
Göttinger Organspendeprozess beginnt mit der Zeugenbefragung
Im Prozess um Manipulationen bei Organverpflanzungen an der Göttinger Universitätsklinik ist am dritten Verhandlungstag so etwas wie Alltag eingekehrt. Hatte es beim Auftakt des Verfahrens vor zwei Wochen noch großes Gedränge um die Presse- und Zuschauerplätze gegeben, verfolgten gestern nur noch ein halbes Dutzend Journalisten das Verfahren im örtlichen Landgericht.
Angeklagt ist Aiman O., 46, Transplantationsspezialist mit Professorentitel, verheiratet, vier Kinder. Er soll sich in seiner Zeit als Chef der Göttinger Transplantationschirurgie des versuchten Totschlags in elf sowie wegen Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen schuldig gemacht haben, so die Staatsanwaltschaft.
O. habe bei der Meldung von Daten seiner Patienten an die zentrale Vergabestelle von Spenderorganen Eurotransplant absichtlich falsche Angaben gemacht, so dass diese Kranken auf der Warteliste nach oben rückten. In fünf Fällen, heißt es in der Anklageschrift, habe sich O. der Staatsanwaltschaft zufolge über eine Richtlinie der Bundesärztekammer hinweggesetzt, nach der Alkoholiker vor Ablauf einer sechsmonatigen Abstinenzzeit nicht transplantiert werden dürfen.
Drei Patienten, so die Anklage, habe er Lebern eingepflanzt, obwohl dies gar nicht nötig oder gar lebensgefährlich gewesen sei - die Operierten seien infolge der Eingriffe gestorben. Weil sie Fluchtgefahr sahen, hatten Richter auf Antrag der Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft verhängt. Seit dem 11. Januar sitzt O. in der Justizvollzugsanstalt Rosdorf bei Göttingen ein.
Der als Zeuge geladene Medizinprofessor Tobias Beckurts erläuterte gestern die Richtlinien der Bundesärztekammer für Lebertransplantationen. Danach ist eine Transplantation dann geboten, wenn eine Erkrankung damit behandelt werden kann, die ansonsten fortschreiten würde - etwa die klassische Leberzirrhose. Kontraindikationen, also Ausschlussgründe, sind nicht behandelte Erkrankungen anderer Organe, sich verschlimmernde Infektionen und absehbare Komplikationen während der Operation.
Beckurts rechtfertigte ausdrücklich die Vorgabe für eine halbjährige Alkoholabstinenz bei Transplantationspatienten. »Es macht keinen Sinn, einem alkoholabhängigen Menschen eine Leber zu verpflanzen«, sagte er. Nach dem Eingriff würde ein Alkoholiker vermutlich »auch seine neue Leber zugrunde richten«. Zum anderen könne sich eine durch Alkoholkonsum geschädigte Leber nach einer längeren Abstinenz unter Umständen von alleine erholen.
Der Zeuge räumte allerdings ein, dass »keine wissenschaftlichen Daten den Zeitraum von exakt einem halben Jahr Abstinenz erzwingen«. Auch sei keine hundertprozentige Kontrolle möglich, ob ein Patient tatsächlich über sechs Monate keinen Alkohol konsumiert habe.
Zu Beginn der gestrigen Verhandlung wies O. erneut die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück. Konkret wollte er sich allerdings dazu nicht äußern. Für das Verfahren vor dem Göttinger Landgericht sind zunächst 42 Verhandlungstage angesetzt und 30 Zeugen und Sachverständige geladen worden. Mit einem Urteil wird frühestens im Frühjahr 2014 gerechnet.
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