Wahlgeschenk für Arbeitslose?

Ingo Kolf ist Referatsleiter in der Abteilung Arbeitsmarktpolitik beim DGB

  • Lesedauer: 3 Min.

nd: Das Bundeskabinett hat am Mittwoch beschlossen, die Hartz-IV-Regelsätze im kommenden Jahr um 2,3 Prozent zu erhöhen. Ist das ein Wahlkampfgeschenk an die Langzeitarbeitslosen?
Kolf: Es handelt sich hier um eine turnusgemäße Anpassung, die zu jedem 1. Januar vorgenommen wird. Laut Gesetz müssen die Regelsätze an die gestiegenen Preise und die Lohnentwicklung angepasst werden. Insofern kann man nicht von einem Wahlgeschenk sprechen. Allerdings kann man vermuten, dass diese Nachricht wenige Wochen vor der Wahl der Bundesregierung nicht ganz ungelegen kommt. So suggeriert man dem Wähler: Wir sorgen auch für die Schwächsten der Gesellschaft. Aber wie gesagt, das ist keine Zusatzleistung der Regierung, sondern ein ganz normaler, gesetzlich vorgesehener Schritt.

Wie wird so eine Anpassung berechnet?
Zu 70 Prozent orientiert man sich an der Preisentwicklung. Dabei schaut man, wie sich die Preise im abgelaufenen Jahr entwickelt haben - allerdings nur die Preise für regelbedarfsrelevante Güter. Für die restlichen 30 Prozent wird die Lohnentwicklung des Vorjahres herangezogen.

Ist die starke Orientierung an der Preisentwicklung ein Grund dafür, dass die Erhöhung diesmal über der Inflationsrate liegt?
Ja. Wir haben derzeit eine Inflationsrate von etwa 1,5 Prozent, während die Regelsatzerhöhung, bei 2,3 Prozent liegt. Aber wenn man die Entwicklung seit 2005, als Hartz IV eingeführt wurde, betrachtet, dann lässt sich feststellen, dass die Regelsätze in diesem Zeitraum deutlich an Wert verloren haben.

Über was für Größenordnungen sprechen wir hier?
Die Regelsätze sind von 2005 bis 2013 um insgesamt 10,7 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum haben sich die Preise aber um 12,5 Prozent nach oben bewegt.

Das heißt, unterm Strich ist die Kaufkraft der Hartz-IV-Bezieher gesunken?
Ja. Und wenn man besonders wichtige Güter herausnimmt, wie etwa Strom, dann ist das Missverhältnis noch krasser. Hier sind die Preise seit 2005 um fast 38 Prozent gestiegen.

Offenbar bildet das Berechnungsverfahren die Preisentwicklung nicht ordentlich ab ...
Ja. Der DGB ist Mitglied im Bündnis für ein menschenwürdiges Existenzminimum. Das ist ein Zusammenschluss von Sozialverbänden, Wohlfahrtsverbänden und Arbeitsloseninitiativen. Eine unserer Kernforderungen ist, die Fortschreibung der Regelsätze ausschließlich an die Preisentwicklung der regelsatzrelevanten Güter zu koppeln.

Die Lohnentwicklung sollte also ignoriert werden?
Ein Mensch braucht nicht dann weniger zum Leben, wenn sich die Löhne aus irgendeinem Grund nach unten bewegen. Das Existenzminimum muss unabhängig von den Löhnen festgesetzt werden. Wir wollen auch, dass sich die Regelsätze zeitnäher nach der Preisentwicklung richten. Wenn sich im letzten halben Jahr die Preise für Energie zum Beispiel deutlich nach oben bewegt haben, dann müssen die Sätze möglichst schnell angehoben werden.

Fragen: Fabian Lambeck

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