Konzert im Wohnzimmer

Zu Gast beim »Sofa Salon« in Kreuzberg

  • Celestine Hassenfratz
  • Lesedauer: 4 Min.
Ben Salter beim "Sofa Salon".
Ben Salter beim "Sofa Salon".

Tory rückt den Esstisch in seinem Wohnzimmer etwas weiter nach hinten. Glücklich sieht er noch nicht aus. »F..., 60 Leute sollen hier reinpassen?«. Auch das große schwarze Sofa muss noch in die Ecke. Tory versucht, im Wohnzimmer seiner Kreuzberger Wohnung Platz zu schaffen. Heute Abend ist er Gastgeber des »Sofa Salons«. Genau genommen besuchen seine Gäste nicht ihn, sondern sind gekommen, um Elyas Khan aus New York, Romain Vincent aus Bordeaux und Ben Salter aus Australien zuzuhören. Die drei Musiker treten heute abend in Torys Wohnzimmer auf.

Der »Sofa Salon« ist ein monatliches Hauskonzert, in wechselnden Privatwohnungen in Berlin, organisiert von der australischen Musikerin Sam. Anmelden kann man sich über eine Mailingliste, oder in der Facebook-Gruppe. Den Ort der Veranstaltung gibt Sam immer erst einen Tag vorher bekannt, die Teilnehmerzahl ist begrenzt auf 40 – 60 Personen. Heute abend bei Tory sollen es also 60 Gäste werden, etwas mehr als sonst, weil die Berlin Music Week stattfindet. Mit seiner dunklen Levis-Jeans, dem schwarzen Rippshirt und den dunklen schwarzen Haaren erinnert Tory an Elvis Presley. An seiner Wand hängen drei Gitarren. Ab und zu macht er auch selbst Musik, aufgewachsen ist er in New York, seit 1994 lebt Tory in Berlin und arbeitet hauptberuflich als Architekt. Sam musste ihn nicht lange überreden, Gastgeber für den Sofa Salon zu werden. Wenn da nur nicht das Platzproblem jetzt wäre. Noch kann man sich nicht vorstellen, wie in dem kleinen Raum später so viele Leute Platz nehmen sollen.

Ein altes Kuchenbuffet steht am hinteren Ende des Raums. Schreibtischlampen, Nachtischlampen und Stehlampen werden umfunktioniert zur Bühnenbeleuchtung. Eine Bierkiste dient dem Verstärker als Untersatz. Auf einem Küchenstuhl und einem kleinen Hocker sollen die Musiker später Platz finden. »Für die Künstler ist es eine gute Möglichkeit, sich zu präsentieren, eine Fanbase zu finden. Und für die Zuschauer ist es der ganz besondere Vibe der beim Sofa Salon entsteht«, erklärt Sam, die den »Sofa Salon« bereits seit drei Jahren organisiert. Ihr Fokus liegt dabei auf Singern&Songwritern. Mittlerweile hat Sam bis zu 10 Anfragen die Woche von Künstlern, die gerne einmal im »Sofa Salon« auftreten würden. Die Musiker wählt sie anhand von drei Kriterien aus: Stimme, Musik und, am wichtigsten, die Geschichten, die der Künstler in seinen Liedern erzählt.

Musik wie zu Hause

Elyas Khan sitzt auf Torys Küchenstuhl, schraubt ein kleines Gerät zusammen und freut sich, im Sofa Salon spielen zu können. »Das ist einfach ein ganz besonderer Vibe, den hat man im Club nicht. Sonst hört man Musik das erste Mal ja oft auch zu Hause in entspannter Umgebung. Hier ist das ähnlich«. Gegen 20.00 Uhr treffen die Gäste ein. Einige haben kleine Kissen unter die Arme geklemmt, in der anderen Hand halten sie helle Jutebeutel mit einigen Flaschen Bier. Für die, die nicht an Getränke gedacht haben, hat Tory im Wohnzimmer noch eine kleine Bar aufgebaut. Bevor die Zuschauer Platz nehmen können, müssen sie ihre Schuhe ausziehen. Das Schlafzimmer hat er kurzerhand zur Garderobe umfunktioniert. Nach und nach füllt sich das kleine Wohnzimmer.

Dann betritt Ben Salter den Raum. Mit seinen rotbraunen lockigen Haaren, dem Dreitage-Bart und seiner schwarzen Röhrenjeans. Er klemmt ein Tamburin unter den Fuß. Dann setzt er an, singt, spielt seine Gitarre. Glockenklar erfüllt seine Stimme Torys' Wohnzimmer. Einige Besucher schießen die Augen, wippen im Takt, genießen. Sam steht im Türrahmen, ein zufriedenes Lächeln im Gesicht. Ben erfüllt alle drei Kriterien: Er hat eine tiefe, klare Stimme zu herrlichen Melodien und erzählt dabei genau die Geschichten, die Sam so wichtig sind. Dann fängt er an den Fuß zu bewegen, das Tamburin erklingt. Mit dem anderen Fuß stampft er auf den Boden, macht den Takt, auf den alten, dunklen Dielen in Torys Wohnzimmer. Der steht am Fenster, raucht eine Zigarette, lächelt und scheint ebenso zufrieden wie Sam zu sein.

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