Bushaltestelle oder Bauwagen

Jugendlichen auf dem Land fehlt oft ein Ort, an dem sie ihre Freizeit verbringen können

  • Ingo Senft-Werner, dpa
  • Lesedauer: 7 Min.
Wenn es Abend wird im Dorf, stellt sich für viele Jugendliche die Frage: Spielplatz oder Bushaltestelle? Aber an beiden Orten sind sie ungern gesehen. Eine Alternative können Bauwagen oder Container sein.

Rotfelden/Bad Liebenzell. Nah und doch auf Distanz. Die richtige Entfernung vom Ort zu finden, ist entscheidend. Der Bauwagen muss zu Fuß oder mit dem Rad schnell zu erreichen sein und doch weit genug von den nächsten Häusern entfernt liegen, damit nicht jede Party die Bürger aus den Betten schreckt. Denn das kann für das selbst gestaltete Domizil von Jugendlichen schnell das Ende bedeuten. Im baden-württembergischen Monakam, einem Vorort von Bad Liebenzell im Schwarzwald, haben die Jugendlichen die richtige Entfernung noch nicht gefunden. Der 17-jährige Adrian Plusczyk steht mit vier Freunden unschlüssig auf der Wiese vor seinem Bauwagen. Die ersten Häuser des Ortes sind etwa 200 Meter entfernt, in Sicht- und vor allem in Hörweite. Ein paar Mal war es zu laut - und seitdem hat die Gruppe keine Ruhe mehr. »Immer wenn es irgendwelchen Ärger im Ort gibt, waren es wir«, beklagt sich Adrian.

Dabei hat alles hoffnungsvoll begonnen, besser gesagt, in der Hoffnung, alte Ärgernisse auszuräumen. »Wir haben uns abends immer an der Bushaltestelle getroffen. Was anderes gibt es ja hier nicht«, erzählt Adrian. Das hat, wie in vielen anderen Orten auch, für Unmut gesorgt. Als die Jugendlichen dann mit dem Bauwagen-Vorschlag kamen, war der Ortsbeirat durchaus angetan. Er schoss sogar mehrere hundert Euro für den Kauf zu.

»Der Anfang war hervorragend, die Jugendlichen wollten Eigenverantwortung übernehmen«, erinnert sich Ortsvorsteher Michael Wintergerst. »Aber dann hat sich die Sache verselbstständigt.« Es gab Ärger - wegen Lautstärke und Alkohol. »Wer garantiert denn den Jugendschutz? Wir hatten keinen Ansprechpartner, mit dem wir die Regeln hätten besprechen können.«

Zur Eskalation kam es, als es sich die Jugendgruppe gemütlich machen wollte. Dazu restaurierten sie erst den Bauwagen: neues Dach samt Isolierung, neuer Kamin, Bänke und natürlich eine Musikanlage, angetrieben von einem Generator. Der Wagen erwies sich jedoch bald als zu klein, wenn mal alle 25 Jugendlichen aus dem Dorf auftauchten. Also bauten sie mit Paletten einen Verschlag an.

»Er war nicht besonders hübsch«, räumt Adrian ein. »Der musste weg«, sagt der Ortsvorsteher. Er kam weg, und seitdem ist die Stimmung auf dem Tiefpunkt. »Wir hätten früher miteinander reden müssen«, bedauert Wintergerst die Entwicklung. Er will den Jugendlichen im Ort ja etwas bieten. Aber ihre Belange politisch umzusetzen, »das ist so langwierig, das können Sie sich gar nicht vorstellen«.

Solche Konflikte begleiten fast jedes selbst organisierte Jugendprojekt, weiß Jugendforscher Ulrich Deinet von der Fachhochschule Düsseldorf. Seien es Bauwagen, die traditionell vor allem in Süddeutschland stehen, seien es Container wie in Nordrhein-Westfalen oder eigene Räume in Jugendzentren der Städte. »Die Problemstellung ist klar: Die Jugendlichen wollen der Kontrolle der Erwachsenen entkommen, und die Erwachsenen wollen die Kontrolle nicht ganz aufgeben.«

Deinet, früher selbst in der Jugendarbeit unterwegs, beurteilt solche Projekte prinzipiell positiv. »Es gibt heute so wenig Freiräume für Jugendliche, da ist es gut, wenn sie sich selbst welche schaffen.« Oft müssten sie dafür notgedrungen auf öffentliche Plätze ausweichen, was zu noch mehr Ärger führt. »Wenn mehr als fünf Jugendliche länger als eine halbe Stunde an einer Bushaltestelle stehen, rückt doch schon die Polizei an.«

Die Zeiten der zentralen Jugendeinrichtungen, wie sie vor 30 Jahren propagiert wurden, sind für Deinet vorbei. »Heute sind spezielle Angebote für verschiedene Cliquen gefragt, die sich etwa nach dem gemeinsamen Musik- oder Modegeschmack zusammenfinden.« Die Bauwagen sind fast immer Jungen-dominiert. »Und Alkohol spielt auch eine nicht unerhebliche Rolle«, sagt der Wissenschaftler. Deshalb hält auch er ein Mindestmaß an Kontrolle für notwendig. »Es liegt dann in der Kunst der Jugendpfleger, den richtigen Ton zu finden. Da kann man vieles falsch, aber auch vieles richtig machen.«

Die Jugendarbeiter im bayerischen Landkreis Eichstätt wollen es korrekt angehen. Sie haben eine Arbeitshilfe für Gemeinden für den Umgang mit Bauwagen herausgegeben. Folgende Vorteile: Die Jugendlichen entwickeln soziale und persönliche Kompetenzen, übernehmen Verantwortung, erarbeiten Regeln und setzen sich mit ihrer Umwelt auseinander.

Nachteile: Ungeklärte Haftung, Lärmbelästigung, Jugendgefährdung und Alkoholmissbrauch. »Einige Jugendhütten werden sogar von der örtlichen Brauerei beliefert und genießen den Ruf, einen größeren Umsatz als die Dorfkneipe zu haben«, heißt es. Hinzu kommen oft fehlende Sanitäreinrichtungen, von der Baugenehmigung und feuerpolizeilichen Auflagen ganz zu schweigen.

Die Baugenehmigung ist das Damoklesschwert, das über allen Bauwagen schwebt. Baden-Württemberg hat dazu extra ein Rechtsgutachten erstellt. Darin heißt es kurz und bündig: Die Aufstellung ist rechtswidrig, ein Privilegierung kann nicht erfolgen. Sprich: Eigentlich müssten alle Bauwagen aus dem Weg geräumt werden. Dennoch appellieren die Jugendarbeiter an die Verantwortlichen, solche Projekte zu unterstützen, und den Jugendlichen zu helfen, die Probleme zu lösen. Im baden-württembergischen Kreis Calw, wo neben Monakam in rund 60 Orten Bauwagen stehen, hat sich dafür der Verein der Bauwagenfreunde gegründet.

Treibende Kraft ist Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel. »Das ist doch eine tolle Sache, wenn Jugendliche selbst anpacken, sich organisieren«, sagt er. Für ihn gehört das zur Zukunftsvorsorge: »Der ländliche Raum muss für Jugendliche attraktiv bleiben, sonst wandern sie ab.«

In den rund fünf Jahren seines Bestehens hat der Verein einige Wogen geglättet. »Wir schalten uns ein, wenn es Probleme mit dem Jugendschutz gibt oder mit der Polizei oder dem Baurecht«, erklärt der Vorsitzende, Thomas Baitinger. »Solche Projekte funktionieren nur, wenn alle Seiten aufeinander zugehen und die Behörden auch mal ein Auge zudrücken.«

In Rotfelden hatte der Verein jede Menge zu tun, doch inzwischen sind die Fronten geklärt, der richtige Abstand gefunden. Hinterm Schützenhaus die leichte Anhöhe hinauf steht der Bauwagen der Gruppe um Martin Kübler und Michael Schmidtke. Im Innern alles vom Feinsten: eine Bar, abgestaubt aus einer früheren Kneipe, ein Ofen, Kühlschrank, Fernseher, Bänke, Tische, Sofas und ein Ventilator. Die Fenster - doppelt verglast - aus dem Internet, und in der Ecke steht sogar ein Feuerlöscher. Die Jungs sind bei der Freiwilligen Feuerwehr und lassen nichts anbrennen. Die meisten von ihnen haben ein Handwerk gelernt, Mechatroniker, Metallbauer, und das sieht man ihrer Hütte an.

»Wir haben mitten im Winter gebaut, auch nachts«, erzählt der 20 Jahre alte Michael stolz. »Wir haben einen 2000-Watt-Strahler aufgestellt und nach Feierabend hier geschafft.« Einziges Manko: »Das Holz hat gepasst, solange es nass war«, erzählt Patrick Ungericht und lacht. »Aber das kriegen wir wieder hin.« Die Hütte ist inzwischen Anlaufstelle für fast alle Jugendlichen im Dorf, auch ein Teil der Mädchen kommt. Hier hängen sie einfach mal ab, feiern Feste oder treffen sich für die Fahrt zur Disco in die Stadt. Die Verantwortlichkeiten sind geklärt: Martin und Michael müssen den Kopf hinhalten, wenn es mal Ärger gibt.

Von den Jugendlichen lockt es keinen in die große Stadt. Auf die Frage, wer denn mal wegziehen will, bleiben die Hände unten. Ein Grund ist die Gemeinschaft. »Hier kommen alle zusammen, egal ob Hauptschule oder Gymnasium«, erzählt Martin. Einen solch festen Freundeskreis gibt es seiner Meinung nach in der Stadt kaum. »Unsere Entwicklungschancen sind hier besser«, zieht er abgeklärt Bilanz. Und die Eltern sind nach Ansicht von Michael auch zufrieden. »Sie wissen, wo ihre Kinder sind, mit wem sie rumhängen, und an wen sie ihre Reklamationen richten müssen.« An diesem Punkt ist Adrian in Monakam noch lange nicht - und vielleicht wird er auch nie dort hinkommen. Bei der Frage nach einem Leben fernab vom Dorf, gehen hier einige Arme nach oben.

Monakam gehört zu den Dörfern, die zweigeteilt sind zwischen altem Ort und Neubaugebiet. »Zu den Jungs und Mädchen aus dem Neubaugebiet haben wir keinen Kontakt, die sieht man nie, die sitzen immer zu Hause«, erzählt der 19 Jahre alte Stefan Heitzmann. Und von den Mädchen sind nur Layla und ein paar ihrer Freundinnen geduldet. Bei der Vorstellung, es könnten noch andere kommen, verziehen die Jungs das Gesicht. Doch im Moment gibt es Wichtigeres: Wohin mit dem Bauwagen? Ein Bekannter hat ein Grundstück vor dem Ort in Aussicht gestellt. »Aber das sind mindestens zwei Kilometer«, gibt der 15 Jahre alte Lukas zu Bedenken. Da ist nichts mehr mit eben mal zusammenkommen. »Aber wir hätten unsere Ruhe«, lockt Adrian.

Schlichter Thomas Baitinger sitzt dabei und lächelt. Sollen die Jugendlichen das mal ausdiskutieren. Er ist sich sicher, dass sie am Ende eine Lösung finden werden. Und er ist zuversichtlich, dass seine diplomatische Mission bis dahin auch die Erwachsenen soweit hat, dass sie diese Lösung akzeptieren - vorerst. Denn der Streit zwischen Jugendlichen und Erwachsenen endet wohl nie.

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