Pressefreiheit in der Türkei?

Ismail Saymaz lebt und arbeitet als Journalist und Buchautor in der Türkei

  • Lesedauer: 3 Min.

nd: Wird in der Türkei die Pressefreiheit gewahrt?
Saymaz: Oppositionelle Gruppen werden in der Türkei unter dem Deckmantel des Terrorismus verfolgt. Heute betrifft das vor allem kurdische Journalisten, aber auch andere Medienschaffende. Damit wird es zum Problem, ein Buch zu schreiben oder überhaupt über ein Buch nachzudenken.

Sie waren selbst wegen Ihrer Arbeit als Journalist angeklagt, etwa in dem Mammutverfahren gegen eine vermeintliche regierungsfeindliche Geheimorganisation namens »Ergenekon«, das Anfang August endete. Was denken Sie über die Prozesse gegen Journalisten in der Türkei?
Gegen mich liefen 20 Verfahren aufgrund meiner Berichte und Bücher. In der Hälfte der Fälle wurde ich freigesprochen, die anderen Anklagen wurden aufgrund von Gesetzesänderungen fallengelassen. Der Ausgang der Prozesse gegen kurdische Journalisten ist politisch bestimmt. Wenn die Regierung der Meinung ist, dass es ihren Interessen dient, wird sie sie freilassen. Wenn nicht, dann nicht. Das sind keine rechtsstaatlichen Prozesse, sondern politische.

Während der Proteste im Gezi-Park diesen Sommer haben die türkischen Medien erst kaum und später vor allem regierungsfreundlich berichtet. Warum?
Die erste Frage ist ja: Warum gab es diese Proteste? Der normale Weg der Opposition im Parlament hat nicht funktioniert. Die Zivilgesellschaft wurde mit Ermittlungsverfahren überzogen und zermürbt, die Presse zum Schweigen gebracht. Deswegen sind die Massen auf die Straße gegangen. Die großen Medien wollten das nicht zeigen. Aber die Protestierenden haben vor ntv und HaberTürk demonstriert und sie gezwungen, ihnen eine Stimme zu geben. Überall waren an den Häuserwänden die Botschaften der Protestierenden zu lesen. Aber der politische Druck auf die Medien ist sehr groß. Sie hatten die Wahl, die Proteste als Putsch darzustellen oder ihre Jobs zu verlieren. Die meisten haben es vorgezogen, über einen Putsch zu berichten oder zu schweigen.

Was war Ihre Rolle während der Proteste rund um den Gezi-Park?
Ich war dort und habe die ganze Zeit gearbeitet. Während und nach den Protesten habe ich über Verhaftungen und Polizeigewalt berichtet. Das entscheidende Überwachungsvideo, auf dem der Mord an Ali Ismail Korkmaz aus Eskisehir durch Polizisten und Zivilisten zu sehen ist, habe ich gefunden. Auf diesem Video basieren nun die Ermittlungen.

Hatten Sie keine Angst vor erneuter Verfolgung?
Viele meiner Kollegen wurden verletzt, von der Polizei verprügelt. Wenn ich in der Menge war, habe ich immer versucht, weit weg von den Polizisten oder von Auseinandersetzungen zu bleiben.

Was bedeutet Gezi? Haben die Proteste etwas verändert?
Vor Gezi gab es massive Angst vor Verhaftungen in der Gesellschaft. Die gibt es nicht mehr, da ist eine Schwelle überschritten. Das Zentrum der Angst liegt nicht mehr in der Bevölkerung, sondern in der Regierung. Die Macht der Straße hat dafür gesorgt, dass die Autorität jetzt auch als Karikatur wahrgenommen wird. Erdogans Bild vom »Vater des Volkes« ist zerstört. Die politische Wahrnehmung ist durch Gezi verändert worden. Die Menschen haben gelernt, für ihre Rechte einzutreten.

Interview: Dinah Riese

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