Moderne Tagelöhnerei
In Großbritannien arbeiten über eine Million Beschäftigte mit Null-Stunden-Verträgen
»Zero-Hour-Contracts« (Null-Stunden-Verträge) ist die britische Form prekärer Beschäftigung. Sie hat enorm zugenommen - die Rede ist von einem Anstieg um 25 Prozent in den vergangenen zehn Jahren. Laut einer Umfrage des Instituts für Personalwirtschaft sollen über eine Million Menschen im ganzen Land betroffen sein. Wahrscheinlich sind es noch mehr.
Die »Zero-Hour«-Verträge sind ein Kind der Thatcher-Ära. Sie ermöglichen es einem Unternehmen, Arbeitskräfte anzustellen, ohne diesen eine Mindestarbeitsstundenzahl garantieren zu müssen. Trotzdem sind Beschäftigte verpflichtet, innerhalb vereinbarter Zeiten garantiert zur Verfügung stehen. Unternehmen gewinnen so eine maximale Flexibilität.
Für ArbeitnehmerInnen bedeuten die Verträge vor allem Rechts- und Einkommensunsicherheit. Sie wissen nicht, wie viel Geld sie im Monat verdienen. Trotzdem gelten die Betroffenen für das Jobcenter als voll erwerbstätig. Auf diese Weise werden die Arbeitslosenzahlen geschönt. Mit einem »Zero-Hour«-Vertrag kann man sich nur schwer gegen Arbeitgeberwillkür wehren. Kommt man einmal zu spät oder schaut seinen Vorarbeiter schräg an, kann dies schnell bedeuten, zur Strafe länger keine Arbeitsschichten mehr zugeteilt zu bekommen. Man darf in so einem Fall aber nicht einfach woanders arbeiten, denn man ist ja vertraglich an »seinen« Arbeitgeber gebunden.
Kein Wunder, dass diese moderne Tagelöhnerei quer durch alle Branchen zu finden ist. Belastbare Zahlen sind schwer zu erhalten, da Unternehmen nicht gerne darüber reden. Bekannt wurde aber, dass über 90 Prozent des McDonald’s-Personals auf »Zero-Hour«-Basis angestellt sind. Bei der Sporthandelskette Sports Direct haben 20 000 von 23 000 Beschäftigten solche Verträge, bei der Gastronomiekette Wetherspoon’s 24 000. Selbst im Königspalast gibt es »Zero-Hour-Contracts«. Aufgrund des Wirbels, den Medienberichte inzwischen ausgelöst haben, hat die konservativ-liberale Regierung kürzlich angekündigt, die Gesetzeslage überprüfen zu wollen.
Und erstmals gab es auch Proteste, die sich explizit gegen die »Zero-Hour«-Kultur richteten: Bei der Großbäckerei Hovis wurde seit dem 28. August an sieben Tagen gestreikt. Am Standort Wigan arbeiten 357 Menschen, die in den vergangenen Jahren immer wieder Verschlechterungen hinnehmen mussten. Rund 30 Arbeiterinnen und Arbeiter wurden entlassen und durch Leiharbeiter ersetzt. Bei 24 Beschäftigten wurde bekannt, dass sie auf »Zero-Hour«-Basis für das Unternehmen arbeiteten. Dieses nahm die Streiks besonders ernst, da man einen Präzedenzfall fürchtete. Aus anderen Standorten wurden extra Manager als Streikbrecher angekarrt und für über 80 Pfund pro Nacht in Hotels in Manchester untergebracht.
Doch es brachte nichts. Lkw- Fahrer zeigten sich solidarisch und nahmen an Streiktagen Urlaub. Die Ausfuhr der Brote aus der indus-triellen Großbäckerei verzögerte sich durch Werkstorblockaden um mehrere Stunden. Und das, obwohl diese Blockaden mehrmals gewaltsam geräumt wurden.
Letztendlich knickte das Management nach und nach ein. Zunächst bekamen die 24 auf »Zero- Hour«-Basis Beschäftigten normale Arbeitsverträge. Am Dienstag dieser Woche wurden dann auch weitreichende Zugeständnisse bei der Leiharbeit ausgehandelt. Von nun an bekommt jeder Leiharbeiter, der in zwölf aufeinanderfolgenden Wochen für mindestens 39 Wochenstunden in der Bäckerei arbeitet, das gleiche Gehalt wie die festangestellten Kollegen.
Dieses Ergebnis könnte ein Startpunkt für weitere Kämpfe gegen prekäre Arbeitsbedingungen sein. Die Botschaft: Auch unter widrigen Bedingungen kann man erfolgreich kämpfen.
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