Auf dem Weg in die Große Koalition
Die SPD-Spitze setzt weiter auf »Politikwechsel« - Jusos zweifeln, wie der mit der Union möglich sein soll
Am Samstag danach, das Mitgliederforum der in der DL21 organisierte sozialdemokratischen Linken in einem Berliner Gewerkschaftshaus war gerade zu Ende gegangen, entfuhr der Sprecherin des linken SPD-Flügels auf dem Kurznachrichtendienst im Internet eine Art Stoßseufzer. »Wir Linken«, twitterte Hilde Mattheis, »dürfen keine Garanten für die Große Koalition sein.«
Nicht einmal 24 Stunden zuvor hatte der Parteikonvent bei fünf Gegenstimmen und drei Enthaltungen den Weg für Sondierungen mit der Union freigemacht. Der Beschluss sei »kein Freifahrtschein für Koalitionsverhandlungen«, versuchte alsbald der Vorsitzende der Jusos, Sascha Vogt, den Eindruck zu vertreiben, die SPD-Spitze habe mit dem Konvent lediglich die Parteibasis auf einen bereits festgelegten Kurs gebracht.
Über mögliche Verhandlungen mit CDU und CSU soll abermals ein kleiner Parteitag der SPD befinden. Dass das Ergebnis dann anders aussieht, gilt allerdings derzeit kaum als wahrscheinlich. Zwar haben führende Sozialdemokraten auf und nach dem Konvent viel von der Gültigkeit des SPD-Wahlprogramms und der Notwendigkeit eines Politikwechsel gesprochen. Aber schon am Samstag machten Meldungen über die Zahl der Ministerien die Runde, welche die SPD einfordern wolle.
Ergebnisoffenheit? »Dieses Herumposaunen, welche Ministerposten wer bekommen soll, ist total daneben«, ärgerte sich der schleswig-holsteinische SPD-Landeschef Ralf Stegner. Es gehe um Inhalte und Mitgliederzustimmung, »nicht um Postenpoker«.
Aber auch die Delegation, mit der die Sozialdemokraten auf die Union zugehen, musste auf dem linken Flügel der Partei Skepsis wecken: Neben der Generalsekretärin Andrea Nahles und dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel sowie den Ministerpräsidenten Hannelore Kraft und Olaf Scholz sollen ausgerechnet der gescheiterte Spitzenkandidat Peer Steinbrück und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier der Union »eine Politik für gute Arbeit und die gerechte Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme« abringen.
»An jedem Punkt von Gesprächen gilt: Sie müssen abgebrochen werden, wenn wir unsere Inhalte nicht durchsetzen können«, drängte am Wochenende Jusochef Vogt auf die Durchsetzung sozialdemokratischer Positionen. »Ohne einen Politikwechsel gibt es keine Regierungsbeteiligung.« Bleibt die Frage, ab wann die SPD mit Blick auf ein Sondierungsergebnis nicht mehr von einem Politikwechsel sprechen würde - und vor allem: wer innerhalb der Partei darüber die Definitionsmacht besitzt.
Schon am Sonntag zeichnete sich ab, an welchen Punkten Teile der SPD bereit sein könnten, von Wahlforderungen abzukehren. Der Sprecher des als konservativ bezeichneten Seeheimer Kreises der Sozialdemokraten, Johannes Kahrs, sagte der »Leipziger Volkszeitung«, man könne zum Beispiel über das Betreuungsgeld reden, dessen Abschaffung die SPD sehr vehement verlangt hatte. Eine Koalition setze voraus, »dass der eine Partner auch die Herzensanliegen des jeweiligen anderen Partners akzeptiert«, so Kahrs.
In der Union wurden am Wochenende bereits einige rote Linien auf das Verhandlungsparkett gezeichnet. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich erklärte, bei Steuererhöhungen, der Energiepreisbelastung sowie der Vergemeinschaftung der Schulden im Euroland gebe es »keinerlei Spielräume«. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe pochte auf die Forderungen der Union. Die Union gehe »selbstbewusst mit unserem Wahlprogramm in die Gespräche«. Und Unionsfraktionschef Volker Kauder ließ sich mit dem Satz zitieren, er erwarte schwierige Sondierungen mit der SPD.
Die Sozialdemokraten dürften dabei vor allem auf den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn und die Mietpreisbremse pochen. Politiker der Partei bezeichneten diese Punkte als unverzichtbar. Zudem werden Lohngleichheit, die Gleichstellung von Lebenspartnerschaften, die doppelte Staatsbürgerschaft sowie eine, wie Kahrs es formulierte, »Gerechtigkeitssteuer« in den Gesprächen im Vordergrund stehen.
Sollte die SPD in Verhandlungen über eine Große Koalition eintreten, werde danach über die Ergebnisse »ein verbindliches Mitgliedervotum eingeholt«, so der Beschluss des Konvents. Das wird innerhalb der SPD zwar als Signal der Beteiligung begrüßt, reicht aber nicht allen Genossen aus.
So stieß zum Beispiel der Ablauf des Konvents an der Basis auf Kritik. Eine für alle Mitglieder öffentliche Veranstaltung »wäre ein wichtiges Signal gewesen, das hat man nun leider verpasst« habe, kritisierte ein Sozialdemokrat im Sozialen Netzwerk Facebook. Dagegen sagte der Berliner SPD-Chef Jan Stöß, »dass der Parteikonvent nichtöffentlich tagt, ist richtig, sonst gäbe es keine offene Aussprache, die nach dem Ergebnis aber nötig ist«. Am Freitagnachmittag demonstrierten zudem ein paar Dutzend Basismitglieder vor der SPD-Parteizentrale in Berlin - mit umgewidmeten Wahlkampfplakaten der Sozialdemokraten: »Das Wir entscheidet«.
Nach dem Parteikonvent berichteten Teilnehmer, es sei bei den über 50 Wortmeldungen eher wenig kontrovers zugegangen. Dies hat manche Beobachter überrascht. Denn so sehr die Parteispitze bemüht ist, den Weg in Richtung Große Koalition zu beschreiten, so sehr ist ein solches Regierungsbündnis bei der Parteibasis weiter umstritten. Nicht nur für Juso-Chef Sascha Vogt bleibt es »unvorstellbar, wie ein Politikwechsel mit der CDU/CSU umsetzbar sein soll«.
Bei der Linkspartei, die erfolglos auf rot-rot-grüne Gespräche drängte, stieß das Ergebnis des SPD-Konvents auf Kritik. Die Führung der Sozialdemokraten habe »die Basis überrumpelt. Ein Mitgliederentscheid ohne Alternativen ist eine Farce«, befand LINKE-Chef Bernd Riexinger in der Onlineausgabe des »Handelsblattes«.
Aus dem Beschluss des SPD-Konvents, des höchsten Entscheidungsgremiums zwischen den Parteitagen:
(...) Eine Mehrheit für einen rot-grünen Politikwechsel konnten wir nicht erreichen, obwohl das Vertrauen der Menschen in die Sozialdemokratie leicht gestiegen ist. Aber das Wahlergebnis zeigt auch: Neues Vertrauen wächst nur langsam. (...) Die SPD steht nicht für eine Fortsetzung der bisherigen Politik der Regierung zur Verfügung, sondern nur für einen Politikwechsel. (...)
Die Gremien und Landesverbände der SPD werden vom Parteivorstand umfassend über mögliche Gespräche informiert und an möglichen Entscheidungsprozessen fortlaufend beteiligt. (...) Über die Aufnahme möglicher Koalitionsverhandlungen entscheidet der Parteikonvent. Über die Ergebnisse möglicher Koalitionsverhandlungen wird ein verbindliches Mitgliedervotum eingeholt, an dem alle Mitglieder beteiligt werden. Der Parteivorstand wird ein Höchstmaß an Transparenz und innerparteilicher Demokratie gewährleisten.
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