»Ich wollte meine Freiheit ohne Bedingungen«
Palästinensischer Hungerstreiker Mahmoud Sarsak über seine Zeit in israelischer Haft
nd: Sie wurden im Jahr 2009 verhaftet, was ist da passiert?
Mahmoud Sarsak: Es war am 22. Juli 2009, aber ich würde eher sagen ich wurde entführt, nicht verhaftet. Ich wollte über Erez [Grenzübergang zwischen Gaza und Israel, Anm. d. Red.] nach Nablus fahren, weil ich einen Vertrag unterschrieben hatte, dass ich für den Shabab Balata Fußballclub in Nablus spielen und am Training für die palästinensische Nationalmannschaft teilnehmen würde. An der Grenze wurde mir gesagt, der Shabak [israelischer Geheimdienst,Anm. d. Red.] müsse etwas mit mir klären. Dann wurde ich gefesselt.
Wurde Ihnen gesagt, was Ihnen vorgeworfen wurde? Hatten Sie eine Gerichtsverhandlung?
Ich wurde 45 Tage lang verhört. Eine lange, harte und demütigende Zeit, während der ich auch psychologisch und physiologisch gefoltert wurde. Mir konnte jedoch nichts konkretes vorgeworfen werden, also wurde ich zu einem »illegitimen Kämpfer« erklärt. Dies beruht auf einem Gesetz, das eigentlich nur für arabische Soldaten angewendet werden kann, nicht für Palästinenser. Alle sechs Monate hatte ich eine ungefähr zwei Minuten dauernde Gerichtsverhandlung. Der Shabak erklärte mich zu einer Gefahr für die israelische Sicherheit. Der Richter stimmte zu und verlängerte die Haft um weiter sechs Monate. So ging das drei Jahre lang.
Was passierte während dieser Zeit in Haft?
Ich war allen möglichen Arten von Folter ausgesetzt, damit ich Sachen gestehe, die ich nie getan habe. Eine Foltermethode war, meine Hände und Füße an einen Stuhl zu fesseln und mich dann in einem Gefrierraum einzusperren. Ich wurde zusammengeschlagen und beschimpft, man hat mir gezeigt, dass schon ein Leichensack für mich vorbereitet ist. Was ich nie vergessen werde, ist der Tod meines Freundes Zakareya Daood Essa. Er hatte Krebs, aber das haben wir erst erfahren, als er entlassen wurde. Während seiner Haftzeit bekam er nur Schmerztabletten, ihm ging es jeden Tag schlechter. Wir wussten nicht, was wir tun sollen. Mit Unterstützung der Palästinensischen Autonomiebehörde kam er frei, aber er verstarb kurz danach. Zakareya spielte für den Alkhodor Fußballclub.
Sie haben sich dann dazu entschlossen, in den Hungerstreik zu treten. Wie kam es dazu?
Ich bin am 15. März 2012 in den Hungerstreik getreten. Ich wollte auf meine eigene Art Widerstand leisten, ich wollte zeigen was mir und anderen palästinensischen Gefangenen angetan wird. Dass wir Palästinenser gedemütigt und gebrochen werden, ohne Beachtung grundlegender Menschenrechte. Ich wollte mir meine Würde zurückholen, die mir irgendwann während der Verhöre verloren gegangen ist. Die Zeit des Hungerstreiks war die härteste Zeit meiner Haft. Ich sah den Tod jeden Tag vor mir. Ich dachte nicht mehr, dass ich das Gefängnis jemals lebend verlassen würde. Nachdem klar war, dass ich meinen Hungerstreik nicht brechen würde, wurde mir angeboten, dass man mich ins Ausland bringen und dort freilassen würde. Aber ich wollte meine Freiheit ohne Bedingungen. Ich wollte nach Hause.
Sie haben viel Unterstützung von außen bekommen. Es gab z.B. eine Kampagne, die sich für Ihre Freilassung eingesetzt hat und an der viele Profifußballer aus aller Welt teilgenommen haben. Haben Sie im Gefängnis etwas von dieser Solidarität mitbekommen?
Während meines Hungerstreiks war ich in Isolationshaft, deshalb habe ich wenig von der Außenwelt mitbekommen. Das war eine Methode, meinen Hungerstreik zu brechen: Ich sollte denken, dass ich ganz alleine bin. Erst durch meinen Anwalt habe ich irgendwann erfahren, was draußen vor sich geht. Ich konnte damals vor Schmerzen nicht Lächeln, aber ich hatte wieder Hoffnung und Glauben in die Menschheit. Dafür möchte ich denen danken, die sich für mich und andere eingesetzt haben. Alle Gefangenen hat diese Erfahrung wieder aufgerichtet. Dass öffentlich wird, was in israelischen Gefängnissen vor sich geht, war mir irgendwann wichtiger als meine Freiheit.
Wie hat sich die Haftzeit auf Ihr Leben ausgewirkt?
Das Gefängnis hat mein Leben dramatisch verändert. Ich spiele Fußball, seit ich ein kleines Kind bin und mein Traum war immer, ein großartiger Fußballer zu werden. Als der Balata Fußballclub mich engagierte, war ich überglücklich. Allein von Gaza in die Westbank zu reisen, war wie ein Schritt hinaus in die Welt für mich. Alle diese Hoffnungen und Ziele starben bei meiner Verhaftung. Schon nach einem Jahr Pause ist die Karriere eines Fußballers meistens vorbei, drei Jahre sind ein Todesurteil. Jetzt würde ich mich freuen, irgendwann wieder kräftig genug zu sein, um hobbymäßig zu spielen.
Aber ich fühle mich jetzt mehr verantwortlich. Für Gerechtigkeit. Ich trage das Versprechen mit mir, das ich meinen Mitgefangenen gegeben habe. Dass ich ihre Geschichten öffentlich machen und nicht eher still sein werde, bis auch noch der Letzte in Freiheit ist. Vorher werde ich selbst mich nie wirklich frei, oder erleichtert fühlen. Die palästinensischen Gefangenen brauchen Hilfe: von mir, von jedem. Sie leiden unter den unmenschlichsten Bedingungen. Mein Kampf hat im Grunde erst begonnen, seit ich aus dem Gefängnis entlassen wurde.
Was bedeutet Gerechtigkeit für Sie? Glauben Sie an Gerechtigkeit?
Für mich bedeutet Gerechtigkeit Freiheit. Menschenrechte. Ebenbürtigkeit. Die Solidarität, die ich von außen erfahren habe, hat mich in meinem Glauben an Gerechtigkeit bestärkt, aber ich wünsche mir, dass Unschuldige freigelassen werden. Dass die, die für Misshandlungen verantwortlich sind, sich vor Gerichten dafür verantworten müssen. Gerechtigkeit bedeutet Frieden für uns alle.
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