Gewissensnöte wegen Kinderarbeit
ILO-Konferenz in Brasilien endet mit wohlklingenden Appellen
Zur Abschaffung der Kinderarbeit mangele es nicht an Mitteln, sondern an »politischem Willen und Scham«, so Brasiliens Ex-Präsident Luis Inácio Lula da Silva. Seine Rede zum Abschluss der III. Globalen Konferenz zu Kinderarbeit am Donnerstag in Brasilia war emotional und persönlich. Wo es Armut gibt, komme Kinderarbeit vor, sagte Lula. »Ich habe als Jugendlicher Obst und Erdnüsse verkauft. Meine sieben Geschwister haben auch schon im Kindesalter gearbeitet, nicht weil es ihnen gefiel oder ihre Mutter es wollte, sondern weil es Zuhause nicht genug zu essen gab.« Es sei nicht einfach, eine soziale Politik zur Abschaffung der Arbeit von Minderjährigen zu formulieren, erklärte der frühere Gewerkschaftschef. »Was wir den Reichen geben, wird als Investition bezeichnet, was wir den Armen geben, als Ausgaben.« Doch ohne Umverteilung der Einkommen sei der Kampf gegen Kinderarbeit aussichtslos, erklärte Lula.
Drei Tage lang debattierten rund 1200 Politiker, Wirtschaftler und Gewerkschafter aus über 150 Staaten auf Einladung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in der brasilianischen Hauptstadt über Strategien zur Beendigung der Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen in der Arbeitswelt. Die Zahlen sind erschreckend: Weltweit müssen nach Angaben der UN-Organisation rund 168 Millionen Mädchen und Jungen arbeiten. Etwa die Hälfte von ihnen schuftet unter lebensbedrohlichen Bedingungen, etwa in Minen, auf Plantagen oder im Sexgewerbe. Diese Tätigkeiten werden als »schwere Formen« von Kinderarbeit bezeichnet.
Insgesamt haben weltweit elf Prozent der Jungen und Mädchen im Ausbildungsalter schon einen Arbeitsalltag. Am stärksten betroffen sind Asien, Afrika und Lateinamerika, doch auch in Industriestaaten sind Minderjährige arbeitstätig. 60 Prozent von ihnen arbeiten in der Landwirtschaft; Dienstleistungen vor allem im Haushalt machen 25 Prozent der Tätigkeiten aus. Das Phänomen betrifft mit einem Anteil von über 60 Prozent mehr Jungen als Mädchen.
Der jüngste ILO-Bericht vom September verweist jedoch auch auf eine positive Tendenz: Zwischen 2002 und 2012 konnte die Zahl der arbeitenden Kinder und Jugendlichen weltweit um um 30 Prozent gesenkt werden. Wie dies gelingen konnte, zeigt gerade das Gastgeberland der Konferenz. Brasilien leistete laut ILO dank der Erhöhung der Mindesteinkommen armer Familien in Verbindung mit einer Kontrolle der Schulpflicht einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen illegale Beschäftigung Minderjähriger.
Bereits auf der letzten Globalen Konferenz vor drei Jahren in Den Haag wurde als Zielvorgabe beschlossen, bis 2016 zumindest die schweren Formen von Kinderarbeit weltweit abzuschaffen. Dieses Ziel wurde in Brasilia bekräftigt, auch wenn ILO-Chef Guy Ryder zum Abschluss einräumte, dass es wohl kaum zu realisieren sei. Notwendig seien »besondere Anstrengungen auf nationaler wie internationaler Ebene insbesondere in den Entwicklungsländern«, heißt es in der Abschlusserklärung.Vereinbart wurden grenzübergreifende Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Armutsbekämpfung, Sozialpolitik und internationale Zusammenarbeit. Auch die Kampagne »Rote Karte gegen Kinderarbeit« soll ausgeweitet werden, insbesondere im Vorfeld von Großereignissen wie der kommenden Fußball-WM.
Enttäuscht zeigten sich viele Delegierte darüber, dass trotz wohlklingender Appelle keine neuen Ziele für die Zeit nach 2016 formuliert wurden. Auch der Vorschlag von Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff, mit einer Quote für sozial schwache oder schwarze Jugendliche an Universitäten und weiterbildenden Schulen deren Ausbildung- und Einkommenschancen zu verbessern, wurde nicht angenommen.
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