Tage der offenen Hintertür

Nach dem Ausstieg der Grünen schaut nun alles auf die Koalitionsgespräche zwischen Union und SPD

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Jetzt kann es nicht mehr lange dauern, bis Entscheidungen fallen. Nachdem die Grünen ihre Gespräche mit der Union abgebrochen haben, treffen sich am heutigen Donnerstag erneut Union und SPD.

Die Politik hat sich irgendwann ein Instrument zugelegt, mit dem sie gleichzeitig Nähe zum Bürger wie Distanz anschaulich macht - die Tage der offenen Tür. Tage der offenen Tür gibt es im Bundestag und im Kanzleramt regelmäßig, und wenn der Bürger das Allerheiligste betritt, wird ihm klar, dass er hier eine eigene, fremde Welt erschnuppern und anfassen, aber nicht durchschauen kann, bevor er sich wieder auf den Heimweg macht. Die offene Tür ist daher nur eine Variante der geschlossenen Tür. Hinter geschlossenen Türen wird ausgehandelt, was man an Tagen der offenen Tür nicht auszuhandeln wagt. Was aber ausgehandelt werden muss, wenn die Beteiligten den nächsten Tag der offenen Tür präsentieren wollen.

Und so wird derzeit in der Parlamentarischen Gesellschaft gegenüber dem Reichstagsgebäude in Berlin hinter verschlossenen Türen über die künftige Regierungskoalition geredet. Geschlossen, weil das Feilschen, um das es dabei im Kern geht, dem Bürger die Augen öffnen würde, wie banal es zuweilen zugehen kann in der Politik. Was gibst du mir, damit ich dir entgegenkomme ...

Der Eindruck eines banalen Ergebnisses darf auf dem SPD-Parteikonvent am Sonntag jedenfalls nicht entstehen, wenn Andrea Nahles und Sigmar Gabriel ihn unbeschadet wieder verlassen wollen. Generalsekretärin und Parteivorsitzender müssen ihren Genossen dann einen Vorschlag vorlegen. Für oder gegen die Aufnahme von Koalitionsgesprächen, also für oder gegen reale Verhandlungen über einen Koalitionsvertrag. Weshalb die Zeit jetzt knapp wird, eigentlich reif für Entscheidungen ist.

Nachdem die Grünen am Dienstagabend ihre Gespräche mit CDU und CSU beendet haben, die Koalitionssondierung also vorerst gescheitert ist, entfällt zumindest das Erpressungspotenzial, das die Runden für die SPD darstellten. Die Union kann nicht mehr darauf hoffen, dass sich SPD und Grüne gegenseitig unterbieten, um für die Union attraktiver zu werden. Wenn diese Spekulation überhaupt irgendwann begründet war - jetzt verbleibt nur die SPD, und in den letzten Tagen ist dort die Abneigung gegen eine Große Koalition offenbar nicht deutlich geringer geworden. Der Union sei bewusst, heißt es allenthalben, dass sie der SPD etwas anbieten, ihr entgegenkommen muss, wenn aus der Liaison etwas werden soll.

Die Grünen hatten in der Nacht zum Mittwoch die Gespräche für beendet erklärt. Sie haben der Union damit vorerst die Tür vor der Nase zugeschlagen. Wegen eines deutlichen Mangels an Gemeinsamkeiten, wie alle Seiten anschließend betonten. Etwa in der Frage einer offenen Gesellschaft, in der Migrations- und Flüchtlingspolitik scheinen die Positionen unvereinbar. CDU und CSU selbst gaben eher Forderungen der Grünen nach höheren Steuern als unüberbrückbare Differenz an. Beide Seiten betonten jedoch, die unerwartet positive Veränderung im politischen Klima habe Türen geöffnet, die sich so schnell nicht wieder schließen würden. Von Nägeln ist bei den Grünen die Rede, die nicht so fest in der geschlossenen Tür steckten, dass sie nicht wieder herausgezogen werden könnten und von einem »erreichten Stand« des Dialogs mit der Union, hinter den man jetzt nicht ohne weiteres zurück könne. »Es ist nichts abgeschlossen, so lange nicht alles abgeschlossen ist«, zitierte die Agentur AFP Parteichef Cem Özdemir. Und angedeutet ist damit, dass im Fall eines Scheiterns der Gespräche zwischen Union und SPD die Grünen vielleicht doch noch einmal ins Geschäft kämen. Da scheint noch manche Hintertür offen zu stehen.

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