Flüchtlinge sind keine Verbrecher

Gerichte: Abschiebehäftlinge dürfen nicht mit Kriminellen eingesperrt werden

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor der »Rückführung« in ihre Heimatländer werden Flüchtlinge oft eingesperrt. Die Abschiebehaft in einigen Bundesländern ist jedoch mit EU-Recht nicht vereinbar.

Die Praxis der Abschiebehaft in mehreren Bundesländern könnte vor dem Aus stehen. Münchner Gerichte und der Bundesgerichtshof haben in mehreren Fällen bayerische Abschiebegefangene in die Freiheit entlassen, weil die Richter in der Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim einen Verstoß gegen eine seit 2010 gültige Richtlinie der Europäischen Union sahen. Diese schreibt vor, dass Ausländer, die abgeschoben werden sollen, nicht gemeinsam mit Strafgefangenen festgehalten werden dürfen. Doch genau das praktiziert eine große Zahl der Bundesländer: Dort werden Abschiebegefangene gemeinsam mit Kriminellen in normale Justizvollzugsanstalten gesteckt, obwohl sie keine Straftaten begangen haben. Lediglich Berlin, Brandenburg und Rheinland-Pfalz unterhalten reine Abschiebegewahrsame. In Schleswig-Holstein und Hessen gibt es Mischformen, die durch die Rechtssprechung möglicherweise nicht angetastet werden.

Die Gerichtsentscheidungen seien »ein Durchbruch für Flüchtlinge und Migranten, die sich ja keiner Straftat schuldig gemacht haben und trotzdem wie Kriminelle behandelt werden«, sagt Dieter Müller, Seelsorger beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst in München. Er rechnet mit weiteren Entlassungen in den nächsten Tagen. »Wir haben in den letzten Wochen etwa 35 vergleichbare Fälle an Anwälte vermittelt. Als Seelsorger stellen wir immer wieder fest, wie stark die Betroffenen unter der Stigmatisierung leiden, wie Verbrecher behandelt zu werden.« Der Bundesgerichtshof hat die in mehreren Bundesländern gültige Praxis dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Die Entscheidungen stehen noch aus.

Was ist die Konsequenz aus der Rechtssprechung? Mehrere Szenarien sind denkbar. Ein Szenario wäre, dass die Abschiebehaftanstalten in Berlin-Grünau und im brandenburgischen Eisenhüttenstadt, die über viele freie Plätze verfügen, zahlreiche neue Insassen aus anderen Bundesländern bekommen. Der Berliner Gewahrsam ist allerdings marode und das Land will ihn abreißen, sobald es ein kleineres Gebäude gefunden hat. In Brandenburg ist Platz. Rheinland-Pfalz hingegen ist dabei, seinen zu groß geratenen Abschiebeknast zurückzubauen, so dass dort in Zukunft auch kein Platz sein wird.

Das zweite Szenario wäre, dass zumindest die rot-grünen Länder und das rot-rote Brandenburg verstärkt die Weichen in Richtung Alternativen zur Abschiebehaft stellen. Schleswig-Holstein hat dazu bereits konkrete Schritte eingeleitet. Rheinland-Pfalz hat eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung von Abschiebehaft angekündigt, die allerdings kaum Aussicht auf Erfolg hat.

Das drittes Szenario ist, dass Konflikte zwischen Bund und Ländern über die Finanzierung der Abschiebehaft offen ausgetragen werden und der Bund sich an den Kosten für den Bau neuer Knäste beteiligen wird. Hintergrund: Nach Schätzungen von Seelsorgern und Beratern in der Abschiebungshaft sind 60 bis 80 Prozent der Betroffenen inzwischen nicht mehr durch die Ausländerbehörden der Länder in die Abschiebehafteinrichtung eingewiesen worden, sondern durch die Bundespolizei. Das sind Asylsuchende, bei denen noch nicht entschieden ist, ob Deutschland oder ein anderer EU-Staat für ihren Asylantrag zuständig ist oder die ihr Verfahren aus der Haft betreiben müssen. Für die Kosten der Haft kommen aber dennoch die Länder auf. Darüber haben sich schon mehrere Länder beschwert. Bisher erfolglos.

Wie sehr der Konflikt schwelt, zeigt das Beispiel eines eritreischen Mannes, der jetzt in Bayern freigelassen werden musste. Die Bundespolizei hatte ihn nach Angaben des Münchner Jesuiten-Flüchtlingsdienstes inhaftiert, um ihn nach Italien rückschieben zu können. Weil die Bundespolizei die bayerische Rechtssprechung kannte, hatte sie eine Verlegung des Mannes nach Rheinland-Pfalz beantragt. Das CSU-geführte Innenministerium im Freistaat lehnte ab. Es wollte nicht für die Kosten der Verlegung aufkommen. Ein größerer Affront gegen den Bund ist kaum vorstellbar.

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