Mexikos Schulbus ist defekt, soll aber den Berg hinauf

Auch nach dem Ende der Lehrerproteste geht der Streit zwischen Regierung und Gewerkschaften um die Bildungsreform weiter

  • Andreas Knobloch
  • Lesedauer: 3 Min.
Mexikos Lehrer stehen nach wochenlangen Protesten wieder vor ihren Klassen. Doch die Bildungsreform bleibt umstritten.

Nach wochenlangen Protesten und Streiks gegen die Bildungsreform der Regierung Enrique Peña Nieto haben in Mexiko mehr als 70 000 Lehrer in der vergangenen Woche den Unterricht wieder aufgenommen. Bei einer Abstimmung der Lehrergewerkschaft CNTE, die die Proteste trug, hatten sich knapp zwei Drittel der Lehrer für eine Rückkehr in die Klassenräume ausgesprochen.

Die Auseinandersetzungen um die Reform, die Mitte September in Kraft trat, gehen jedoch weiter. Die CNTE hat angekündigt, die Proteste fortzusetzen. Ein Teil der streikenden Lehrer blieb in Mexiko-Stadt und hält die Stellung im Protestcamp rund um das Denkmal der Revolution. Dorthin war man ausgewichen, nachdem die Polizei Mitte September die Zeltstadt auf dem Zócalo, dem großen Platz im Herzen der Hauptstadt, geräumt hatte. In den Wochen vor der Räumung blockierten fast täglich Zehntausende Lehrer Verkehrsadern der Metropole oder gar die Zufahrtswege zum Flughafen.

Vor allem Lehrer der CNTE aus den traditionell »aufrührerischen« Bundesstaaten Oaxaca, Michoacán und Guerrero hatten die Hauptstadt lahm gelegt. Die für ihre Streiks bekannte andere Großgewerkschaft SNTE, die größte Einzelgewerkschaft Lateinamerikas, war dagegen abgetaucht, seit ihre Führerin Elba Esther Gordillo (»La Maestra«) Ende Februar unter Korruptionsvorwürfen festgenommen worden war. Viele Beobachter hatten die Inhaftierung Gordillos als Signal im Hinblick auf die Bildungsreform verstanden und von der SNTE war sie wohl ebenso interpretiert worden.

Dafür übernahm die CNTE, die 1979 als Abspaltung aus der SNTE hervorging, »die Straße«. Bereits im März und April gab es Mobilisierungen und zum Teil gewalttätige Zusammenstöße mit der Polizei in Oaxaca und Guerrero. Kurz darauf erreichten sie die Hauptstadt. Auch in anderen Landesteilen demonstrierten Lehrer gegen die Reform.

Eine der strittigsten Punkte dieser Reform ist die per Gesetz vorgeschriebene regelmäßige Leistungsüberprüfung der Lehrer nach fachlichen Kriterien. Die Pädagogen beklagen, dass die landesweit einheitlichen Tests an der Realität vorbei gehen. Viele von ihnen arbeiten in abgelegenen Dörfern in ländlichen Gebieten, wo die Kinder oft nur indigene Sprachen sprechen. Die Lehrer befürchten massenhafte Entlassungen, soziale Einschnitte und eine schrittweise Privatisierung des Bildungssektors. Darüber hinaus kritisieren sie, dass die Reform wenig geeignet sei, um strukturelle Mängel wie das Fehlen von Unterrichtsmaterialien vor allem in den ärmeren Bundesstaaten zu beseitigen.

Gewerkschaftsführer wiederum sehen einen Angriff auf ihre Pfründe. Seit Jahrzehnten kontrollieren sie die Postenvergabe. Oft ist dabei die Gewerkschaftszugehörigkeit wichtiger als die fachliche Qualifikation, bisweilen werden Lehrerstellen sogar vererbt. Auch gibt es nicht wenige, die zwar ein Gehalt als Lehrer beziehen, aber seit ihrem Schulabschluss nie wieder einen Klassenraum betreten haben - darunter Gerüchten zufolge Bürgermeister, Senatoren, Gouverneure und sogar Mafiabosse.

Mexiko wendet 6,2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Bildung auf. Das entspricht etwa dem OECD-Durchschnitt. 93 Prozent der Gelder aber gehen für die Lohnzahlungen drauf. Dabei weiß man nicht einmal genau, wie viele Lehrer es überhaupt gibt. Die Regierung schätzt 1,4 Millionen. Die hohe Dichte an Lehrkräften zeitigt allerdings äußerst bescheidene Resultate. Nur die Hälfte aller Schüler beendet die Sekundarstufe, nur 13 Prozent erreichen die Universität, sieben von zehn können entweder nicht lesen oder nicht rechnen. Damit ist Mexiko Schlusslicht in der OECD.

Ein treffendes Bild wählte Manuel Gil Antón, Wissenschaftler am Zentrum für Soziologische Studien des Colegio de México (Colmex), gegenüber der spanischen Zeitung »El País«. Das mexikanische Bildungssystem sei »wie ein Bus, der mit kaputtem Motor bergauf auf einer Straße voller Schlaglöcher unterwegs ist. Und auf einmal sagt eine Gruppe Reisender, um schneller voranzukommen, müsse man die Fahrer besser schulen.«

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