Klingelbeutel im Internet

Wie Daniel Danzer sein Spiel »Steam Noir Revolution« auf den Markt brachte, berichtet Udo Bartsch

  • Udo Bartsch
  • Lesedauer: 4 Min.

Rund 7000 Euro benötigte Daniel Danzer, und 19 275 Euro kamen zusammen. Der Stuttgarter Autor hatte ein Revolutionsspiel entwickelt, inspiriert durch die politischen Ereignisse des Jahres 2011: also Stuttgart 21, Fukushima-Demos, Proteste in Nordafrika. Ein aktuelles Thema sollte sein Werk dennoch nicht bekommen: »Die Situation kann sich ändern und dann passt das Spiel nicht mehr«, erklärt der 49-Jährige. Er siedelte das Geschehen deshalb im Steampunk-Genre an, in einer Fantasy-Retro-Welt mit futuristischen Elementen. Drei bis fünf Revolutionäre ab 14 Jahren kämpfen in »Steam Noir Revolution« gegen den Kaiser, sind sich aber auch untereinander nicht grün. Beim geheimen Ausspielen von Fraktionskarten darf frei verhandelt und geflunkert werden. Wird der Kaiser nicht gestürzt, gewinnt ausgerechnet der Verräter mit dem geringsten Engagement für die Gemeinschaft.

Nur ein Verlag zeigte Interesse an dem etwas speziellen Spiel; konkrete Zusagen blieben aus. Danzer holte den Grafiker und Comiczeichner Felix Mertikat ins Boot und entschloss sich, eine Produktion mittels Crowdfunding selber zu probieren. »Es hat alles gepasst«, blickt er stolz auf das erfolgreiche Geldsammeln zurück. »Crowdfundingspiele sind Impulsartikel. Unser Spiel war preiswert, wir konnten schon fertige Grafiken zeigen und die Steampunkwelt ist für das Internetpublikum sehr attraktiv. Da schlagen viele spontan zu.« Mindestens 19 Euro musste man einzahlen, um das Spiel zu bekommen. 457 Fans machten mit.

Crowdfunding

»Schwarmfinanzierung« ist eine Finanzierungsmethode im Internet, um künstlerisch-kreative Projekte zu ermöglichen. Neuerdings werden auch immer mehr Spielproduktionen auf diese Weise realisiert: Der Gründer stellt sein Projekt im Internet vor. Meist private Kapitalgeber beteiligen sich. Wird das Finanzierungsziel erreicht, startet das Projekt und das Spiel wird hergestellt. Die Förderer erhalten abhängig von der Höhe ihrer Beteiligung eine Belohnung, im Regelfall das fertig produzierte Spiel samt einiger Extras oder einer namentlichen Erwähnung in der Spielregel. Kommt der erforderliche Betrag nicht zusammen, gibt es das Geld zurück.

 

Crowdfunding im Spielebereich wird immer populärer. Danzers Projekt war das dreizehnte seiner Art in Deutschland, inzwischen sind es mehr als 20. Die Spieler lockt die Aussicht, ein exklusives Produkt zu bekommen, das es ohne ihr Mittun niemals geben würde. Wer besonders viel Geld beisteuert, erscheint als Porträt auf Spielkarten oder dem Schachtelcover. Seit Juli 2012 existiert die »Spieleschmiede«. Die erste rein auf Brettspiel-Crowdfunding spezialisierte Plattform ist dem Versandhandel »spiele-offensive« aus Merseburg angegliedert, nutzt dessen Logistik und schnürt ein Servicepaket - allerdings nur für Verlage, nicht für Privatpersonen: Der Verlag liefert das Spiel, und Marketing und Zahlungsverkehr wickelt die Spieleschmiede ab. »Exklusivität gegenüber anderen Anbietern« war für Geschäftsführer Frank Noack der wesentliche Anreiz zur Gründung des Tochterunternehmens. Der Internethandel ist hart umkämpft, die »spiele-offensive« macht auf diese Weise nicht nur mehr Umsatz, sondern erhält ein Alleinstellungsmerkmal. Bloß: Warum veröffentlichen Verlage ihre Spiele nicht wie gewohnt, sondern nutzen dafür Crowdfunding? »Es geht um Liebhaberspiele«, sagt Noack. »Solche, die es sonst nicht auf den Massenmarkt schaffen würden. Oder um ausländische Firmen ohne Standbein in Deutschland.«

Dass ein Projekt auch scheitern kann, erlebte der Verlag franjos aus Lichtenau bei Paderborn. Das geplante Strategiespiel »Domus Domini« erreichte auf der Plattform startnext nur 3600 der erhofften 20 000 Euro. Mit Crowdfunding wollte franjos-Chef Franz-Josef Herbst das Marktinteresse testen: »Das Spiel passte nicht in unser normales Programm, wo wir auf einfache Regeln und kurze Spieldauer setzen. Das Risiko, es einfach so zu produzieren, war zu groß.« Im Nachhinein sieht er es als Experiment mit Lernerfolg. »Man muss im Vorfeld mehr investieren, als ich dachte. Die Spieler wollen das Produkt sehen können, deshalb muss man auch schon ausgearbeitete Grafiken haben.« Immerhin: Bei der Spieler-Community im Netz war franjos ein paar Tage lang im Gespräch und ein möglicher Verkaufsflop blieb dem Verlag erspart.

Das Risiko beim Crowdfunding tragen die Kunden. Videos, Grafiken und Beschreibungen vermitteln zwar einen Eindruck vom Spiel; letztlich aber kaufen sie die Katze im Sack. 500 Euro investierte der Spielesammler Ingo Laubvogel aus dem thüringischen Sondershausen in das erste Spiel der Spieleschmiede »Express 01«. Laubvogel ist Fan von Eisenbahnspielen wie diesem, außerdem kam als Belohnung sein Konterfei groß aufs Schachtelbild. »Von dem Spiel hatte ich mir allerdings mehr versprochen«, räumt er ein. Angesichts der überhand nehmenden Projekte sei eine Verewigung auf dem Cover inzwischen auch nichts Besonderes mehr. Noch einmal würde er den Geldbeutel wohl nicht zücken.

Zeigt die Fangemeinde also bereits Zeichen von Übersättigung? Frank Noack glaubt nicht daran. Seine Spieleschmiede sammelte in ihrem einjährigen Bestehen rund 178 000 Euro ein. Neun von zehn bislang abgeschlossenen Projekten erreichten die erforderliche Summe. Ein elftes, dessen Scheitern sich anbahnte, wurde kurz vor seinem Ablauf abgebrochen. Für 2014 will Noack die Schlagzahl noch erhöhen. Die Spieleschmiede soll sich vermehrt an ein internationales Publikum richten und dann Geburtshelfer für jährlich mehr als 20 neue Spiele sein.

Daniel Danzer würde sein nächstes Spiel dennoch lieber auf herkömmliche Weise bei einem Verlag herausbringen: »Es war noch mehr Arbeit als befürchtet.« Auf 600 Stunden schätzt er seinen Aufwand: »Regel schreiben, Produktion verantwortlich leiten, Grafik, Marketing, Internet ... Es ist ein Fass ohne Boden. Man denkt die ganze Zeit an nichts anderes mehr. Am unangenehmsten war es für mich, ständig als Werber in eigener Sache unterwegs sein zu müssen, so wie mit einem Klingelbeutel.« Einen guten Stundenlohn habe er gewiss nicht erzielt. Ohnehin spendete Danzer aus seinen Überschüssen 1200 Euro an die Stuttgarter Tafel. Als Autor aber profitierte er. »Ich bin kein Anfänger mehr. Die Verlage wissen jetzt, dass ich mich auch mit Produktionskosten und Marketing auskenne.« So könnte Crowdfunding Danzers Sprungbrett für Veröffentlichungen ohne Crowdfunding geworden sein.

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