Schafft die Dienste ab!

Tom Strohschneider über den Lauschangriff auf die Kanzlerin und die Unkontrollierbarkeit der Geheimapparate

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 3 Min.

Zurzeit haben Nachrichten über den Lauschangriff des US-Geheimdienstes auf die Kanzlerin eine Halbwertzeit von nur wenigen Stunden. Gerade noch berichteten Zeitungen, Barack Obama habe sich persönlich und, welche Ironie: in einem Telefonat bei Angela Merkel für die Überwachung entschuldigt - er habe nichts davon gewusst. Kurz darauf schreibt eine anderes Blatt, im Weißen Haus sei man nicht nur längst im Bilde gewesen, sondern habe die Ausspähung der CDU-Vorsitzenden sogar ausdrücklich angeordnet. Die nächste Zeitung schreibt, Merkel sei im Prinzip selbst Schuld an dem Schlamassel, ihre Fahrlässigkeit im Umgang mit Sicherheitsanforderungen habe die Spähaffäre erst möglich gemacht.

So widersprüchlich die Berichte darüber sind, wer wann worüber Bescheid wusste, so sehr ist ihnen eines gemein: Sie berufen sich auf Stellen, die Teil des Problems sind - das Umfeld der Kanzlerin, Geheimdienstakteure, die (besser gesagt: irgendeine) US-amerikanische Seite. Sie alle haben Gründe, diesen oder jenen Spin zu setzen - immerhin geht es nicht nur um persönlicher Verantwortung in einem politischen Skandal, sondern um das transatlantische Verhältnis, das Beobachter jetzt schon vor einer Zäsur sehen; um das außenpolitische Standing eines Präsidenten, der innenpolitisch schwer unter Druck ist; um die Existenzberechtigung von Geheimdiensten, die nicht nur abhören, sondern auch abwehren sollen. Und vielleicht auch um ganz andere Fragen und große Geschäfte, über die man öffentlich lieber nicht reden will.

Diese immanente Unübersichtlichkeit ist freilich kein Anlass, sich in der Sache zurückzuhalten. Natürlich ist es einerseits ein Unterschied ums Ganze, ob ein US-Präsident nicht einmal weiß, dass seine Geheimdienste am Ohr anderer Regierungschefs hängen - oder er die Ausspähung selbst anordnet, und die »Bündnispartner« dann in der Sache darüber belügt. Es ist zu recht die Frage aufgeworfen, was eigentlich schlimmer ist: ein ahnungsloser Präsident oder einer, der die Unwahrheit sagt. Unter dem Strich aber belegt die neue Aufregung über einen inzwischen schon alt bekannten Überwachungsskandal nur die Notwendigkeit weitreichender Schlussfolgerungen.

Ganz egal, ob es sich um ein Kanzlerinnen-Mobiltelefon oder die Internetkommunikation von Millionen handelt - es wird keine Kontrolle von Geheimdiensten geben können, die diesen Namen auch verdient. Es ist an Absurdität nicht zu überbieten, wenn nun als Reaktion auf den NSA-Skandal gefordert wird, andere Geheimdienste auszubauen. Das ganze System, das sich auf Sicherheitsinteressen beruft und doch vor allem das Sicherheitsgefühl von Menschen zerstört; die intransparente und antidemokratische Bauweise solcher Behörden, die man nicht mit schlaffen Parlamentsgremien aus der Welt schafft, die immer nur Fragen stellen können, wenn mal wieder ein neuer Skandal schon längst passiert ist; die offenkundige Nutzlosigkeit jener Heimlichstaaten im Staate, die mehr Unfrieden stiften als verhindern - das ist das Problem.

Wusste Obama Bescheid oder nicht? Wie die Antwort ausfällt, ändert daran nichts. Das Problem mit den Geheimdiensten ist nicht mangelnde Kontrolle, sind nicht persönliche Machtinteressen und auch nicht fehlende internationale Abkommen. Sondern es sind die Geheimdienste selbst. Freilich: Es nur wenig wahrscheinlich, dass sich politische Strukturen, die sehr eng mit Geheimdienstapparaten (und -Interessen) verknüpft sind, für die einzig richtige Konsequenz interessieren. Das macht die Forderung aber nicht weniger richtig: Geheimdienste gehören abgeschafft.

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