Als die Deutschen auf der Autobahn spazieren gingen

Im Zuge der Ölkrise verordnete die Bundesregierung 1973 vier autofreie Sonntage und ein vorübergehendes Tempolimit

  • Burkhard Fraune
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor 40 Jahren drehten OPEC-Länder dem Westen erstmals den Ölhahn zu. Noch immer wird der Rohstoff sofort teurer, wenn im Nahen Osten Waffen klirren. Doch heute ist der Westen vorbereitet.

Es gab Autobahnen ohne Autos, Sprit, gehamstert in doppelten Tanks, und Behörden, die die Heizungen runterdrehten - der Ölpreisschock von 1973 hat sich eingebrannt in das Gedächtnis der Deutschen. Wann immer das schwarze Gold teurer wird, kommt die Furcht vor einer neuen Ölkrise, auch 40 Jahre, nachdem die Lieferländer den Westen in den Schwitzkasten nahmen. Doch Fachleute halten eine vergleichbare Krise heute für wenig wahrscheinlich.

»Benzin-ausverkauft«-Schilder an Tankstellen, Hauptstraßen wie der Berliner Kudamm voller Spaziergänger - diese Schwarz-Weiß-Bilder hängen längst in Museen. Für die Industriestaaten in den 1970er Jahren aber standen sie für eine existenzielle Bedrohung: Am 17. Oktober 1973 begrenzen einige Staaten der Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) die Fördermengen, was den Rohölpreis steigen lässt. Elf Tage später verkünden acht arabische Ölländer einen Ölboykott und führen damit die erste Ölkrise herbei. Die Nachkriegswirtschaft ist es bis dahin gewohnt, dass das Öl billig und scheinbar unbegrenzt aus dem Mittleren Osten fließt. Es hat vielerorts beispiellosen Wohlstand und Vollbeschäftigung genährt. Der Entzug in den 1970ern bringt andere Bilder: stillgelegte Fabriken und Schlangestehen vor den Arbeitsämtern.

Der israelisch-arabische Jom-Kippur-Krieg führt dazu, dass die Förderländer das Öl erstmals als Waffe nutzen. Die OPEC verhängt ein Embargo gegen die USA und die Niederlande, die übrigen Industrieländer erhalten auf einmal viel weniger Öl. 1973 kostet ein Barrel Öl (ein 159-Liter-Fass) drei Dollar - 1979, auf dem Höhepunkt der zweiten Ölkrise, sind es 38 Dollar.

Doch anders als oft behauptet, kam das nicht ganz überraschend, wie der Bochumer Historiker Rüdiger Graf meint. »Es gab vorher schon Indizien für eine Versorgungskrise«, sagt er und verweist auf frühere Konflikte wie die Suez-Krise 1956 und den Sechs-Tage-Krieg 1967. Experten hätten schon damals über den rasant steigenden Ölverbrauch diskutiert, erst recht, als die USA um 1970 die Förderung im eigenen Land bis ans Limit trieben.

Noch 1973 verordnet die Bundesregierung vier autofreie Sonntage und ein vorübergehendes Tempolimit - 100 Stundenkilometer auf Autobahnen, 80 auf Landstraßen. Später müssen die Bürger lernen, im Frühling und Herbst die Uhren umzustellen, um das Tageslicht optimal zu nutzen und Energie zu sparen - was übrigens als gescheitert gilt.

Noch 1973 beschließt die Bundesregierung, 40 Atomkraftwerke zu bauen. Großbritannien und Norwegen bergen mit Bohrinseln Öl aus dem Boden der Nordsee und zählen heute zu den wichtigen Lieferanten für Deutschland - jedoch mit deutlichem Abstand hinter Russland. Deutschland deckt nur noch ein Drittel seines Primärenergiebedarfs mit Öl - vor 40 Jahren war es mehr als die Hälfte.

»Wir sind völlig anders aufgestellt«, sagt Hubertus Barth, Energieexperte des arbeitgebernahen In-stituts der deutschen Wirtschaft Köln. Die OPEC könne nicht mehr so einen großen Teil des Ölflusses steuern wie in früheren Jahrzehnten. »Nur bei einem Flächenbrand am Persischen Golf wäre so etwas wie eine neue Krise denkbar.«

Begrenzte Konflikte aber hält das System offenbar aus. Als der Bürgerkrieg in Syrien tobt, zapfen die Industriestaaten 2011 ihre Notfallreserven an und bringen weltweit die Ölpreise ins Rutschen - koordiniert von der Internationalen Energie-Agentur, in der sich nach der Ölkrise 28 Länder zusammenschlossen, um ihre Versorgung sicherzustellen. Ihre Reserven reichen für 146 Tage. dpa/nd

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