Schüler im gläsernen Märchenwald
Warum Glasbläser im schwedischen Småland unbedingt eine Zeitung brauchen
Es ist eine Märchenwelt, in der Lars im Osten der schwedischen Region Småland lebt. Ein kleines Paradies aus Glas. Zwei Meister und zwei Schüler arbeiten hier. Lars Skulberg, obwohl bereits 33 Jahre alt, ist ein ewiger Schüler. Und er will es bleiben. »Ich möchte hier alt werden. Das Stadtleben hat mir nie gepasst.« Seit sechs Jahren ist er der »Lehrling« in der »Transjö Hytta«. »Doch hier gibt es keine Hierarchien. Wenn ich mit meinem eigenen Design arbeite, dann bin ich mein eigener Meister« scherzt er und zeigt stolz seine Glasbläserkreationen - Vasen, Teller, Schalen. Richtige Meister gibt es hier natürlich auch. Jan-Erik Ritzman und Sven-Åke Carlsson heißen sie. Die Meister sind Schweden, ihre Schüler kamen schon aus vielen Ländern, aus Japan, Mexiko, Deutschland... Der jetzige »Schüler« Lars stammt aus Norwegen, sein »Klassenkamerad« Dan Clausen aus Dänemark. »Jeder der beiden Meister braucht einen Assistenten«, erzählt Lars in akzentfreiem Deutsch. Er hat zehn Jahre im Schwarzwald gelebt. »Eigentlich kann sich hier jeder bewerben. Doch demnächst kommen wohl keine neuen Schüler mehr her. Denn Dan und ich gehören schon zum Inventar.« Für die Stücke, die Meister und Schüler zum Verkauf anbieten, greifen die Kunden tief in die Tasche. Wissend, dass jedes dieser Kunstwerke aus Glas ein Unikat ist. Gebrauchsglas kommt hier nicht auf den Ladentisch.
Verkauft werden die gläsernen Kunstwerke nur in Transjö. »Wir haben zwar eine Website, aber keinen Webshop«, so Lars. Warum? »Ich würde nie ein Stück Glas kaufen, das ich nicht angefasst habe«, begründet das Lars. Verpasst er damit nicht ein gutes Geschäft? »Es könnten schon ein paar mehr Kunden sein, aber wir verdienen genug, um zwei Meister, zwei Schüler und ihre Familien zu ernähren. Die Unterkunft ist kostenlos. Wir leben vom Sommergeschäft, müssen im Winter mit den Einnahmen haushalten.« Von November bis März finden nur wenige Touristen den Weg hierher. Es ist zu kalt.
Neben der kleinen Glashütte schlängelt sich das Flüsschen Lyckebyå entlang. Ballons aus Glas schwimmen auf dem Wasser. Transjö, ein kleines, idyllisches Fleckchen, das gerade mal 35 Einwohner zählt, ist aber nicht nur gläsern. Neben der Verkaufshütte stehen ein Dreirad und anderes Kinderspielzeug. Es gehört dem kleinen Sohn von Lars' »Mitschüler« Die beiden teilen sich ein Haus mit Lars, der das Leben hier sehr beschaulich findet. Der 33-Jährige spielt Trommel und hat einen Traum: eine Glastrommel herzustellen. Das wichtigste an seiner Arbeit sei, dass einem immer neue Ideen kommen. Und immer eine Zeitung parat zu haben. Aber nicht zum Lesen. »Wir schmelzen bei 1360 Grad. Unser wichtigstes Arbeitsmittel dabei ist eine nasse Zeitung. Damit kommt man sehr nahe an das Glas ran, ohne sich zu verbrennen.« Mit Hilfe der Zeitung wird das Glas von Hand geformt.
Transjö gehört zum »Glasriket«, dem schwedischen Glasreich in Småland - zwischen Kalmar an der Ostküste und Växjö gelegen. 14 Hütten gibt es dort. Im zehn Autominuten entfernten Kosta ist die älteste Hütte. Seit 1742 wird dort ununterbrochen Glas produziert. In Småland herrschte damals bittere Armut, da war die Ansiedlung der Glasbläserei ein Segen. Denn von drei Dingen hatte Småland genug: Holz, um die Brennöfen anzuheizen, Seen, mit deren Wasser die Schleifsteine angetrieben wurden, und Quarzsand, einem Bestandteil des Glases.
Ann Hanssen führt heute Besucher durch das Glasreich. Sie ist Engländerin und lebt hier seit 1967. Sie hat sich einst in einen schwedischen Glasbläser verliebt. Den gibt es nicht mehr in ihrem Leben, aber die Liebe zum Glas und zu Schweden blieb.
Beim Hyttsill (Heringsabend), einer småländischen Tradition aus dem 18. Jahrhundert, in der Glashütte Kosta können Gäste Glasbläsern bei der Arbeit zuschauen oder die Kunst selbst ausprobieren. Es empfiehlt sich vorher eine Stärkung mit dem Hyttsill-Menü, bestehend aus Hering, knusprigem Speck, småländischer Griebenwurst, Ofenkartoffeln und Käsekuchen mit Schlagsahne. Nicht nur zum abendlichen Hyttsill, auch bei der täglichen Glasherstellung in den Hütten sind Gäste willkommen. Um zuzuschauen, wie die Glasbläser mit einer langen Stange aus Metall glühende rote Klumpen aus dem Schmelzofen holen, sie drehen und wieder und wieder in den Ofen schieben. Und wie sie dann in wenigen Augenblicken die groben Glasklumpen in kunstvolle Gläser oder Vasen verwandeln.
Infos
- Reiseland Schweden: www. visitsweden.com
- Schwedisches Glasreich und Glashütte in Kosta Boda: www.glasriket.se, www.kostaboda.com
- Glashütte in Transjö: www.transjohytta.se
- Anreise nach Småland: Mit Stena Line von Rostock nach Trelleborg. Danach zwei Stunden Autofahrt bis nach Kosta Boda. Buchungen für die Fährüberfahrt: www.StenaLine.de oder Tel.: (0180) 60 20 100 (20 Cent pro Anruf aus dem deutschen Festnetz)
- Übernachtung im Glasreich: Im Kosta Boda Art Hotel www.kostabodaarthotel.com
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.