Der Kalte Krieg kommt wieder
Rückkehr als App: Zweite Chance für DDR-Brettspiel Ligato. Mit Michael Geithner sprach René Gralla
Wie, Herr Geithner, haben Sie das vergessene Ligato ausgegraben?
Vor zwei Jahren fing alles an. Mein Partner Martin Thiele und ich sind leidenschaftliche Brettspieler, und eines Tages begannen wir uns zu fragen, womit eigentlich unsere Eltern ihre Freizeit verbrachten. Dann fiel Martin ein, dass es in seiner Familie, die aus Saalfeld an der Saale stammt, mal ein selbst gebasteltes Monopoly gab, eine Kopie des Originals, das man in der DDR offiziell nicht erwerben konnte. Das hat uns fasziniert, weil solche Spiele eine Geschichte erzählen, die wir beide nicht mitbekommen haben, schließlich sind wir Jahrgang 1985. Und so begannen wir weiterzuforschen und unsere Werkschau »Nachgemacht« aufzubauen, von Malefiz und Sagaland bis Heimlich & Co., lauter Unikate, die in Heimarbeit gefertigt worden sind.
Was ja im Ergebnis zu echter Kreativität angeregt hat: mit einfallsreichen Versionen individuelle Sets zu schaffen, anstatt in den nächsten Laden zu gehen und ein neues Spiel simpel zu kaufen!
Unbedingt. Und im Ergebnis waren viele Kopien schöner gestaltet – nicht selten mit einer persönlichen Note – und oft sogar qualitativ hochwertiger als die Originale. Im Zuge unserer Recherchen sind wir schließlich auf Lothar Schubert gestoßen, der bei sich zu Hause in Riesa über vier Wandschränke voll Spiele verfügt. Und der hat uns in diesem Zusammenhang von seinem einstigen Projekt Ligato erzählt, das er im Zuge der Wende hatte beerdigen müssen.
Worum geht es bei dem Spiel?
Zwei Parteien treten gegeneinander an. Sie müssen ihre Steine bis zur Grundlinie des anderen Lagers führen.
Eine Art Halmaprinzip?
Stimmt, dazu aber auch Anleihen bei Dame, weil Steine übersprungen werden können. Es wird nicht gewürfelt, sondern die Zahl der möglichen Züge, die man ausführen kann, folgt aus einem Schlüssel, der bewertet, wie weit die eigenen Steine im Vergleich zur Konkurrenz vorangekommen sind.
Konzipiert war Ligato für das Brett. Und nun bekommt es nach dem frühzeitigen Produktionsaus 24 Jahre später von Ihnen eine zweite Chance – wenngleich in digitaler Form, nämlich als App.
Das haben Lothar Schubert und sein spannendes Spiel verdient. Und wir wechseln die Perspektive: Erst haben wir nach Zweitausgaben von Spielen aus dem Westen gesucht, und jetzt sind wir es, die das Remake eines Spiels produzieren, das in der DDR erfunden wurde. Wobei wir Ligato mit den heutigen Mitteln einer deutlich breiteren Gruppe von Leuten zugänglich machen, als sich das sein Schöpfer Schubert hat vorstellen können.
Haben Sie alles 1:1 übernommen?
Wir haben die Frontstellung in unserer Variante für iPad und iPhone etwas plastischer gemacht. Ursprünglich war das nur ein Wettkampf zwischen einer abstrakten schwarzen und einer weißen Partei. Wir dagegen haben Ligato eingebettet in ein Szenario des Kalten Krieges. Die USA messen sich mit der Sowjetunion, vor dem optischen Hintergrund einer Karte des geteilten Berlin. Außerdem haben wir dank der technischen Möglichkeiten, die eine App bietet, ein so genanntes Achievement-System eingebaut. Wer bestimmte Fortschritte im Lauf einer Partie erzielt,bekommt als Extrabonus jeweils einen weiteren Teil einer virtuellen Geschichte freigeschaltet. Die erzählt in Bildern die Geschichte von Lothar Schubert und dessen Traum, sein Spiel zu veröffentlichen.
Eine Hommage an den Mann hinter dem Spiel in seinem Spiel. Wie lange arbeiten Sie an der App?
Seit Anfang 2013. Mit einem kleinen Entwicklerteam, zwei Programmierer und ein Komponist. Die App gibt es übrigens als kostenlosen Download im App-Store. Weil wir möglichst viele Menschen erreichen und ihnen die Geschichte des Spiels erzählen wollen.
Wie lange dauert eine Partie?
Rund zwei Minuten.
Können Sie ein paar Tipps geben für Strategie und Taktik?
Lege deine Aktionen so an, dass du dem anderen stets einen Zug voraus bist. Und versuche ansonsten, die gegnerischen Einheiten zu blockieren.
Planen Sie nach der Ligato-App eine Fortsetzung?
Wir machen weiter. Das wird aber nicht wieder eine App sein, sondern ein Brettspiel und heißt Bürokratopoly. Wir stützen uns dabei auf ein Spiel, das sich Martin Böttger (1989 Gründungsmitglied des Neuen Forums - d.R.) ausgedacht hat. Das von Monopoly und Risiko inspirierte Bürokratopoly ist ein Wettrennen zwischen acht bis zehn Teilnehmern um einen fiktiven Aufstieg vom einfachen Arbeiter bis zum Generalsekretär der SED.
Und wie gelange ich an die Spitze?
Wahlen oder ein kaltblütiger Putsch können einen nach vorne bringen. Sofern einen nicht widrige Umstände zurückwerfen. Kostprobe: Der Winter wird härter als erwartet, man hat das Pech, dass man auf dem Posten des Energieministers hockt, ein Rücktritt ist fällig und so ein krachender Absturz von der Karriereleiter.
Wie verbreitet war das Spiel zur Zeit der DDR?
Bürokratopoly wurde unter der Hand weitergegeben. Wie oft, ist nicht bekannt. Bekannt ist indes eine Stasieinschätzung: »Bei dem sogenannten Gesellschaftsspiel Bürokratopoly handelt es sich um ein Würfelspiel, welches auf ironische Weise angebliche Wege zur Erlangung und zum Verlust politischer Macht in der DDR aufzeigt und auf diese Art die gesellschaftlichen Verhältnisse verächtlich macht.« Doch die Spieler blieben von Behörden unbehelligt.
Sie bewegen sich zwischen den zwei Welten im modernen Spielekosmos: Ligato digital als App und Bürokratopoly klassisch zum Anfassen. Wie wird die Zukunft des Spiels: analog oder digital?
Beide Sektoren werden sich gegenseitig beeinflussen, aber auf jeden Fall bleibt das Brettspiel erhalten. Dieses unschlagbare Ding, gemeinsam mit Freunden am Tisch zu sitzen, sich zu freuen über ein Spiel und sich manchmal auch zu streiten, dazu das eine oder andere Getränk zu genießen, das hat man nur beim Brettspiel.
Alles zu Ligato, das am 9.11. als App
erscheint: www.ligato-app.com;
Spielekopien aus der DDR:
www.nachgemacht.de;
Buch zum Projekt: »Nachgemacht« von Michael Geithner und Martin Thiele, DDR Museum Verlag, 156 S., 14,95 Euro.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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