Ohne Ausländer läuft die Klinik nicht
In Sachsen kommt inzwischen jeder neunte Arzt nicht aus Deutschland - ein Besuch in einer Oschatzer Klinik
Peter Schuhmann (Name geändert) klagt über Schmerzen im Bein. Der Oschatzer ist gestürzt, nun sitzt er im Behandlungsraum von Bashir Qassem. Der Chirurg fragt den Rentner, worin die Beschwerden bestehen. Das Aussehen und der Akzent des Arztes lassen sofort erkennen, dass er nicht von hier ist. Der 27-Jährige kommt aus Jordanien. Peter Schuhmann stört das nicht: »Solange er mich gut versteht und ich ihn, ist mir das egal. Hauptsache, ich bekomme Hilfe.«
Das ist auch die Erfahrung von Klinikchef Dr. Mario Günther: »Die Resonanz bei den Patienten ist positiv. Aber nur, wenn die Ärzte neben ihrer fachlichen Qualifikation sehr gut deutsch sprechen.« Seit mehreren Jahren stellt die Klinik der ländlich gelegenen sächsischen Kreisstadt Ärzte und Ärztinnen aus dem Ausland ein. Die meisten kommen aus dem arabischen Raum, aus Russland, aus der Slowakei und Tschechien. Es gibt zu wenig deutsche Ärzte, die im ländlichen Raum arbeiten wollen. Chefarzt Günther: »Viele wollen in die Großstädte, oder sie gehen ins Ausland, zum Beispiel nach England, wo sie besser verdienen.«
In der Collm Klinik Oschatz sind von 57 Ärzten derzeit 18 aus dem Ausland. »Ohne sie könnten wir den Betrieb nicht aufrecht erhalten«, sagt der Chefarzt. Landesweit ist laut Landesärztekammer in Sachsen inzwischen jeder neunte Arzt ausländischer Herkunft. Von fast 16 000 praktizierenden Ärzten kamen Ende vergangenen Jahres mehr als 1800 aus 91 Nationen - die meisten aus Polen, Tschechien und der Slowakei. 2009 hatte die Zahl ausländischer Ärzte in Sachsen noch bei rund 1250 gelegen.
Barbora Dykastova hat in Prag studiert. Die 26-Jährige ist erst seit zwei Monaten in Oschatz und pendelt jeden Montag und Freitag, die Wochenenden verbringt sie bei ihrem Freund in Prag. Warum ist sie nach Deutschland gekommen?: »Mit meiner Facharztausbildung als Anästhesistin in Prag war ich nicht zufrieden, hier ist das viel besser«, sagt sie. Aber auch finanzielle Gründe spielten eine Rolle.
Wie ihre anderen ausländischen Kollegen kam sie mit sehr guten Deutschkenntnissen nach Oschatz. Dennoch nimmt sie zweimal wöchentlich Einzelunterricht bei Elli Herrmann - auf eigene Kosten: »Denn Probleme habe ich mit dem Sächsischen und generell mit der Umgangssprache.« So erklärt ihr die Lehrerin, was es bedeutet, wenn ein Patient austreten gehen möchte und den Unterschied zwischen einer Bauchspeicheldrüse und einer Speicheldrüse.
Keinen Nachholebedarf haben die jungen Ärzte bei medizinischen Fachbegriffen, die ohnehin lateinisch sind, Pankreas oder Appendix zum Beispiel. Aber heißt es nun »Blut abnehmen oder Blut vernehmen«? Hier hilft Elli Herrmann weiter: »Ich spiele die Patientin, und Sie können mir glauben, ich habe viele Schmerzen und eine Menge Krankheiten.« Auch sächsische Begriffe erklärt sie in ihrem Einzelunterricht, der individuell abgestimmt auf den Dienstplan des jeweiligen Arztes ist und direkt in der Klinik stattfindet. »Wir stellen den Raum kostenfrei zur Verfügung«, sagt der Chefarzt. »Denn wir haben ein Interesse, dass die Ärzte weiter Deutsch lernen.«
Bashir Qassem wollte wegen der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse weg aus seiner Heimat: Ein Arzt erhält in Jordanien umgerechnet etwa 1200 Euro Gehalt. Zunächst hatte er sich in den USA umgeschaut: »Ich habe dort einen Bruder und eine Schwester.« Letztendlich entschied er sich aber für Deutschland und Oschatz, »weil die Menschen hier freundlicher sind«.
Wie alle Mediziner aus dem nichteuropäischen Raum musste Qassem nicht nur Deutschkenntnisse nachweisen, um hier zu arbeiten, sondern auch eine Anerkennungsprüfung ablegen, die dem deutschen Staatsexamen entspricht. Für zwei Jahre befristet war zunächst seine Arbeitserlaubnis, die jetzt verlängert wurde. Bei Ärztinnen wie Barbora Dykastova, die aus einem europäischen Land kommen, wird die in dem jeweiligen Land erworbene Approbation in Deutschland anerkannt.
Deutschlehrerin Herrmann kennt von ihren Schülern einen weiteren Grund, warum diese gern in Deutschland arbeiten. »Zu mir hat mal einer aus Syrien gesagt: Hier erlebe ich die Jahreszeiten, Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Und das finde ich sehr schön.«
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