Homer und Hesiod
Jahrhunderte vor der griechischen Antike finden sich in vorderasiatischen Despotien und im Ägypten der Pharaonen mit Chroniken und Annalen, die bei den Hethitern ihre höchste Stufe erreichten, mythische Geschichtsauffassungen und -dar Stellungen. In Griechenland sind sie seit dem 8. Jahrhundert v.u.Z. in Gestalt des Epos zu verzeichnen. Damit wurde eine Wirkungsgeschichte begründet, die über Europa hinaus bis in die Gegenwart reicht. Marx galten jene Epen «in gewisser Beziehung als Norm und unerreichbare Muster».
Der Name des unerkundbaren Homer steht für den bzw. die Schöpfer der Epen «Ilias» und «Odyssee», die den Griechen ihre kampferfüllte Frühgeschichte vermitteln. Sie schildern tatsächliche und fiktive Ereignisse und Entwicklungen im 12. Jahrhundert v.u.Z., in die Götter ständig eingreifen: den Kampf um Troja und dessen Zerstörung durch die siegreichen griechischen Aggressoren sowie die abenteuerliche und langwährende Heimkehr des «listenreichen Odysseus» nach seinem Königreich Ithaka.
Hesiod, der auf Homer folgte, lebte um 700 v.u.Z. in einem böotischen Dorf. Seine Epen, die der Sprache und dem Versmaß Homers verpflichtet sind, tragen die Titel «Werke und Tage» und «Theogonie» (Götterentstehungslehre). Mit Helden und Heldenverehrung hat Hesiod allerdings nichts im Sinn. Denn er sieht die Geschichte nicht von oben, aus der Sicht der Könige und Heerführer, sondern von unten, aus dem Blickwinkel eines Hirten und Bauern, der erst im «zweiten Beruf» zum Dichter und Rhapsoden wurde. Die großen Kriegstaten sind ihm mit zunehmender Ungerechtigkeit und moralischem Verfall verbunden. Diese Erfahrungen führen ihn zu einer Geschichtsauffassung der Regression. Von einem «goldenen Zeitalter», das er - in Analogie zum alttestamentarischen Paradies - in ferner Vergangenheit zu erkennen glaubte, sieht er die Geschichte über mehrere Epochen zum «eisernen Zeitalter» verlaufen. Schon lange sei die Göttin der Gerechtigkeit, die einst unter den Menschen gewohnt habe, entschwunden. Der Krieg war bereits für Hesiod «der Vater allen Rückschritts» und nicht «aller Dinge», wie ein Satz Heraklits auch durch militaristische Studienräte einseitig intepretiert und instrumentalisiert wurde.
Hesiod suchte aber diesem Verfallsprozess zu begegnen. Neben dem Lob der ehrlichen Arbeit enthält sein Werk eine Art olympische Progression, die der irdischen Regression zuwiderläuft. Auf die Ur- Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin Gaia und die Regime der Titanen Uranos und Kronos folgt in einem familienmörderischen Drama, für das ihm aristokratische Gepflogenheiten Modell stehen konnten, die gerechte Herrschaft des Zeus. Diese ist für ihn mit der Hoffnung auf bessere Zeiten verbunden. Der Weg zu einer rationalen, quellenorientierten und zunehmend kritischen Geschichtsforschung und Schreibung führte im Kontext mit der philosophisch-wissenschaftlichen Entwicklung von den mythischen Geschichtsdarstellungen über Hakataios und Herodot zu Thukydides. Die Geschichtsauffassungen wurden neben Progress und Regress vom Zyklus, der ältesten Vorstellung der «ewigen Wiederkehr des Gleichen», bestimmt.
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