Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Politik
  • Kultautor Philippe Djian ist älter geworden

Heiß, aber Herbst

  • Christina Matte
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Kritiker sind immer dann begeistert, wenn «Djian wieder einen Djian geschrieben hat». Das freilich ist nicht so einfach. Denn der Djian, den Djian schreiben soll, ist eindeutig der junge Djian, der mit seinen Erstlingsromanen «Betty Blue», «Erogene Zone» und «Ver raten und verkauft» in die Reihe der Kultautoren aufstieg. Seine Helden: junge Leute, rastlos, rebellisch, maßlos, fiebrig. Seine Sprache: 200 km/h, sinnlich, erotisch, zärtlich, brutal - ein bisschen Rimbaud, ein bisschen H. Miller.

Doch auch ein Djian wird älter. Nun, da er 50 geworden ist, hat er mit seinem Roman «Heißer Herbst» erneut eine Trilogie beendet. «Erotisch wie sein Frühwerk», heißt es. Wieder ein Djian? Ich weiß nicht. Wie schon «Mörder» und «Kriminelle» er zählt «Heißer Herbst» von Luc Paradis. Paradis ist Schriftsteller. Die Midlife crisis liegt hinter ihm, an seinen letzten großen Erfolg kann er sich selbst kaum noch erinnern. Eileen, seine Frau, hat ihn verlassen, schlimmer: Sie hat ihn wegen eines anderen verlassen. Seit drei Jahren lebt er allein, zwischen Liebe und rasender Eifer sucht, Selbsterkenntnis und -mitleid schwankend (was das Schwanken anbetrifft, sollte man die Drinks mitzählen.) Da schneit Ex Schwiegermutter Josianne herein. Gerade verwitwet und abgebrannt, beschließt sie, sich bei ihm einzunisten - der Stoff, aus dem Skandale sind. Ein abgründiges Spiel beginnt, das noch einmal in Leidenschaft umschlägt...

Djians Helden sind längst nicht mehr on the road. Sie wohnen in schönen Häusern und gehen ihren Geschäften nach, mehr oder weniger skrupellos - ewiger Kreislauf, alte Erkenntnis, die Jugend immer ignoriert: Älter werden heißt, Unschuld verlieren. Die Helden, sie haben sich ar rangiert. Sie leben in Paarbeziehungen, die nach außen hin stabil sind, aber innerlich zerbröckeln. Die Leidenschaft ist schal geworden, statt Erotik gibt es nur Sex, und dieser Sex, er prickelt nicht. Was sie einst suchten, fanden sie nicht, das Gefühl erschreckt: Da war nichts. Gefühl, ein Rest verzehrender Gier, immerhin ein Rest von Leben. Oh, Djian schreibt noch Gänsehautsätze wie jenen einen von Josiannes Haar, dessen dunkles Rot so leuchtet, «das einem die Pulsadern aufschneidet». Das atmet, bebt, pulsiert und zittert! Und doch, seine Sätze fliegen nicht mehr. Sie jagen nicht mehr von Komma zu Komma, nicht schwerelos in Himmelsnähe, immer ist da schnell ein Punkt, der sie hindert abzuheben.

Harmonie von Inhalt und Form. Alles ist da, was ein gutes Buch braucht, prima, denkt man, alles bestens. Wieder ein Djian? Ich weiß nicht. Er spielt ein gefährliches Spiel. Gnadenlos ehrlich führt er uns vor- So ist das, Leute, der Schmelz ist weg. Kann man den neuen Djian lieben, ohne den alten (in diesem Fall: jungen) Djian zu vergessen? Er scheint sich selbst nicht sicher zu sein. Vielleicht deshalb lässt er Luc Paradis am Ende wieder aufbrechen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.