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  • Politik
  • Graphische Arbeiten von Inge Jastram in Ribmtz-Damgarten

Trotz - weiblich

  • Frank Schlößer
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich sollten die vier gleichlangen Grenzen der Zeichnung Ruhe, Ausgeglichenheit und Geborgenheit bewirken. Doch die »Kleine Fremde« steht in der Ecke, den Kopf gesenkt, abgewandt vom Betrachter und von der Zeichnerin - und bringt das Quadrat aus dem Gleichgewicht mit der Ungehörigkeit ihrer Anwesenheit. Mehrere solcher Motive, die sich fast am falschen Platz befinden und sich gegen die vorgegebenen Verhältnisse des Formates wehren, sind in der Ausstellung zu sehen, die noch bis Ende Januar in der Galerie des Klosters von Ribnitz- Damgarten zu sehen ist.

Die Illustrationen, die Inge Jastram zu DDR-Büchern lieferte, verrieten anfangs ihren Lehrer, Professor Werner Klemke. Später erlaubte sie sich Frivolität und den sympathischen, ungehörig beflügelten Strich Max Schwimmers. Dann verlor die Erotik ihre Leichtigkeit, machte unschönen, echten, verzweifelt-gierigen Leibern und Gesichtern Platz, denen die jähr zehntelang andauernde Erdanziehung ihren Stempel aufgedrückt hatte. Das war zur Wendezeit, als Inge Jastram sich - wie sie sagt - »im freien Fall« befand. Der Zusammenbruch ihres inneren DDR-Koor dinaten-Systems brachte Ängste, Fragen, Verzweiflung hervor. Zu dieser Zeit gewinnen die Kaltnadelradierungen an Aggressivität und Charakter. Die Jastram will nicht mehr gefallen, sie hat das Lob des Publikums nicht mehr nötig, sie braucht nicht mehr die Aussage eines Buches, um zu Motiven zu gelangen.

Sie hat ihren Trotz gefunden. Er ist subtil und konkret, er ist begründet und empfindsam, er ist weiblich. Die Jastram ist nicht die Frau, die anklagend nach allen Seiten ein »Trotz alledem!« schmettert - ihr »trotzdem« bleibt klein geschrieben, ist aber eindringlich. »Vielleicht gewöhnt man sich...« heißt eine Radierung aus dem Jahre 1993 - und die nicht mehr junge, einsame Frau in der Bar trägt ihre modische Frisur so ungeschickt und mit einem so resignierten Blick, dass man getrost das Gegenteil des Titels hoffen darf.

Inge Jastram ist inzwischen zu den Büchern zurückgekehrt. Die Ausstellung präsentiert Radierungen, die in einer

großformatigen, bibliophilen Ausgabe der Gedichte und Chansons von Klaus Mann in limitierter Auflage bei der Edition Frank Albrecht erschienen sind. Hier hält sie sich in ihren Motiven eng an die Texte. Wüsste man jedoch nicht, dass die Gedichte eher da waren als die Bilder - es könnte durchaus auch Klaus Mann gewesen sein, der sich von den Radierungen Inge Jastrams inspirieren ließ. Die Konflikthaftigkeit der Person Klaus Manns wird in den autobiographischen Texten deutlich. Die Intellektualität, das Schwulsein, die Drogensucht des Schriftstellers ist in Inge Jastrams Arbeiten präzise aufgezeichnet, ebenso das Gegenteil, die tumben deutschen Kerle: Schon die Springerstiefel an, schon einen deutlichen Aufwärtsschwung in der rechten, ordentlich ausgestreckten Hand, schon geschorenes Haar und immer noch dieser blöde, kurze Befehle heischende Blick.

Inge Jastram bedient sich der Monokel- Wänste des George Grosz auf ihre eigene Weise. Sie nutzt eine knappe und deutliche Symbolik, die den kabarettistisch zugespitzten Aussagen Klaus Manns entspricht. In der Ausstellung wurden nur die Illustrationen, ohne die Gedichte, gehängt und sie verlieren nichts, sie werden im Gegenteil vielfältiger interpretierbar.

Wer vor allem Inge Jastrams frühere leichtfüßig-frivole Illustrationen schätzte, könnte vielleicht der Wandlung, die in dieser Ausstellung dokumentiert ist, skeptisch gegenüberstehen. Aber vielleicht helfen die großen farbigen Zeichnungen von Zirkuskindern und Clowns, die neuesten Arbeiten von Inge Jastram, darüber hinweg. Die sensiblen Szenen aus der Zir kuswelt sind in wunderbar knappen Linien gezeichnet, geradezu opulent komponiert und wieder sparsam koloriert. So ästhetisch und wirkungsvoll diese Bilder sind - und so sehr man ihnen die Käufer wünscht, nach denen sie suchen - so sehr fallen sie gerade durch ihre Gefälligkeit aus dem Rahmen dieser Ausstellung.

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