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  • Politik
  • Der Heidelberger Astronom Edgar Wunder untersucht, wie sehr der Mond unser Leben tatsächlich beemflusst

Macht Vollmond Männer böse?

  • Lesedauer: 7 Min.

Von Birgit Weidt

Gestern früh erlebte Deutschland eine totale Mondfinsternis. Haben Sie gut geschlafen? Hoffentlich, denn heute Nacht leuchtet der Vollmond wieder ins Fenster. Und der nächste kommt bestimmt - alle 29,5 Tage ist es so weit; Erst kürzlich warnte die Bild-Zeitung: «Vollmond macht Männer böse!» Dann, so stand geschrieben, werden Männer gemein zu ihren Frauen, wälzen sich Millionen Menschen unruhig in ihren Betten oder schlafwandeln durch die Wohnung. Es ist die Nacht der Nächte, erfährt der Leser, Mondgläubige ziehen los, um böse Geister per Trommelwirbel auszutreiben oder suchen jene Friseurläden auf, die nach Einbruch der Dunkelheit noch geöffnet haben, denn Vollmondfrisieren soll das Haar kräftigen und einem kahlen Kopf vorbeugen. Leuchtet der Dicke am Himmel in voller Pracht, geht es laut Bild-Report rund auf Erden: mehr Geburten, mehr Morde und mehr Leute, die in diesen Nächten verrückt werden. Bei der Telefonseelsorge würden die Telefone heißlaufen. Außerdem hätte unser Erdtrabant Einfluss auf Fußballergebnisse, Dollar kursschwankungen, Wahlerfolge, Operationsverläufe und Gedankenblitze. Auch unentschuldigtes Fehlen von der Arbeit stünde im Zusammenhang zu den Mondphasen.

Der Mondmythos boomt. Mondratgeber erzielen gigantische Auflagen. Die beiden astrologischen Bücher von Johanna Paungger «Vom richtigen Zeitpunkt» und «Aus eigener Kraft» wurden mit 1,6 Millionen Exemplaren verkauft. Astrologen, Astronomen und andere Himmelsspezialisten beschäftigen sich wieder intensiver mit der Ausstrahlungskraft des erdnächsten Sternes und wollen seine Macht erforschen.

Der Astronom und Soziologe Edgar Wunder forscht seit zwei Jahrzehnten an der Universität Heidelberg über den Einfluss des Mondes auf uns Menschen. Als Mitglied der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) und Herausgeber der Zeitung «Skeptiker» beschäftigt er sich wissenschaftlich mit dem lunaistischen Phänomen und untersucht, was an all den oft auch unglaublichen Mond-Geschichten nachweislich stimmen könnte. Um dem viel beschworenen Vollmond-Baby-Boom auf die Schliche zu kommen, wertete er Krankenhausstatistiken und Aufzeichnungen von Hebammen des 19 und 20. Jahrhunderts aus. Untersuchungen ver schiedener Städte Europas und Amerikas, auch Afrikas, wo die Menschen heute noch nach dem Mondkalender leben, er gaben Schwankungen, die jedoch völlig unabhängig von den Mondphasen verliefen. Geburten häuften sich eher zu bestimmten Jahreszeiten, beispielsweise auf dem Land kamen in den Wintermonaten mehr Babys zur Welt. Man kann zwar noch nicht von einer Geburtenplanung sprechen, so wie man sie heutzutage kennt, doch wälzten die jungen Bauersleut› sich allzu gern im Wonnemonat Mai im Heu, sicher auch der Frühlingsgefühle wegen, aber auch in der Gewissheit, für ein Neugeborenes in den kalten Monaten mehr Zeit zu haben, da dann kaum gesät oder geerntet wurde.

Mehr Entbindungen wurden schon immer in den frühen Morgenstunden registriert - doch eine Ballung von Eintragungen bei Vollmond ließ sich laut Statistiken nicht nachweisen.

Gesondert untersuchte Edgar Wunder die Geburtenrate an der deutschen Nordseeküste, weil dort auf Grund der starken Gezeitenwirkung der Mond stärker wirkt als anderswo im Lande. Er befragte dort dienstälteste Hebammen. Sie schworen darauf, dass die meisten Kinder bei Flut, fast nie bei Ebbe geboren wurden und sie sich völlig auf den Gezeitenkalender ver lassen könnten. Daraufhin studierte der Heidelberger Astronom ihre Geburtstagebücher, beispielsweise die von 1935 bis 1955 aus den Orten Husum, Tönning, Pellwurm, Norderney. Das Ergebnis: von 1360 Spontangeburten fanden 661 bei Flut und 699 bei Ebbe statt. Trotzdem glauben Hebammen und Ärzte felsenfest an einen Zusammenhang zwischen Mondphasen und Geburten. Ähnlich ver hält es sich mit Polizisten und Kriminalbeamten, die behaupten, dass sie bei Vollmond mehr Morde und Gewaltverbrechen aufklären müssten. Das ging so weit, dass der Polizeidirektor in Ludwigshafen 1989 eine Dienstvorschrift erließ, «dass bei Vollmond allen Polizisten grundsätzlich kein dienstfrei zu gewähren sei». Davon erfuhr der Polizeidirektor in Karlsruhe und ließ sämtliche Straftaten, Tötungsdelikte, Verkehrsunfälle, Personenschäden von 1990 bis 1992 in Baden-Württemberg überprüfen. Es gab keinen Zusammenhang zwischen all den Vorfällen und den Mondphasen. Edgar Wunder wertete Aufzeichnungen über Großbrände, Schiffsunglücke, Erdbeben, Drogenkonsum, Alkoholismus, Depressionen aus - kein lunaistischer Zusammenhang. Auch die Analyse der Selbstmordrate ergab, dass im nebligen November, aber auch in beliebigen anderen Monaten des Jahres, oft zu Wochen- und Monatsanfängen, nicht jedoch in Vollmondnächten, sich mehr Menschen das Leben nahmen. Er durchforstete Einlieferungen in psychiatrische Kliniken, Auffälligkeiten von Patienten, ließ sich die Registrierung der Anrufe bei der Telefonseelsorge zeigen nichts.

Intensiv befasste sich der Heidelberger Astronom mit dem Phänomen des Schlafwandelns, das überwiegend bei Kindern im Alter von fünf bis zwölf Jahren, bei Jugendlichen und Erwachsenen nicht mehr so häufig auftritt. Schlafwandler reagieren nachts bei hellem Licht. Dass dieses unbewusste Herumlaufen und Herumhantieren als Mondsüchtigkeit bezeichnet wird, rührt noch aus früherer Zeit, als es zum Beispiel noch keine Straßenlaternen gab und nur der Vollmond die nächtliche Finsternis erhellte. Untersuchungen haben nämlich ergeben, dass man Menschen, die zum Schlafwandeln neigen, schon mit einer Taschenlampe im dunklen Zimmer anleuchten und so zum Aufstehen bewegen kann. Wissenschaftler testeten in Schlaflabors jene Patienten, die angaben, in Vollmondnächten nicht schlafen zu können auch, wenn die Rollos herunter gezogen sind. Die Ärzte kehrten die ganze Sache um. Da die Klienten mehrere Wochen unter Aufsicht in abgedunkelten Zimmern nächtigten, erzählte man ihnen an einem beliebigen Tag, dass Vollmond sei. Und prompt schliefen die Leute planmäßig schlecht. Psychologen nennen das eine selbsterfüllende Prophezeiung. Schon das Wissen, bei Vollmond nachts wach zu liegen, reicht aus, um in dieser Nacht nicht zur Ruhe zu kommen.

Ein Argument für die Macht des Mondes sind die Gezeiten. Sie werden verursacht durch das Zusammenwirken von Schwer und Fliehkraft, die bei der Bewegung des Mondes um die Erde und bei der Bewegung der Erde um die Sonne entsteht. Die Gezeiten des Meeres äußern sich an den Küsten als Ansteigen (Flut) und Absinken (Ebbe) des Meeresspiegels im Abstand von 12 Stunden 25 Minuten. Bei Neu- und Vollmond verstärken sich die Gezeiten zu kräftigen Spring-Gezeiten, bedingt durch die spezielle Stellung von Sonne und Mond zueinander.

Die Macht des Mondes ist sicher nicht immer messbar. Zwar besitzt er die Kraft, durch Ebbe und Flut große Ozeane wie den Atlantik zu beeinflussen immerhin verschiebt sich dort der Gezeitenspiegel um ungefähr 12 Meter - doch wie wirkt er auf uns Menschen, die wir ungefähr zu 70 Prozent aus Wasser bestehen? «Man kann die Gezeiten im Ozean nicht mit einer Art Ebbe und Flut im menschlichen Organismus gleichsetzen», erklärt Edgar Wunder. «Es treten im Atlantik starke Gezeiten auf, im Mittelmeer nur schwache, im Bodensee keine mehr. Und warum fehlen sie gänzlich in der Badewanne? Offensichtlich kann der Mond desto schwieriger anpacken, je kleiner das Objekt ist. Wir bestehen zwar überwiegend aus Wasser, jedoch dürfen wir dabei nicht die Körper große, sondern die Zellgröße beachten, weil sich das Wasser im menschlichen Körper nur innerhalb von Zellen frei bewegen kann. In diesen winzigen Zellen ist eine Wirkung des Mondes nicht mehr messbar.»

Edgar Wunder ist der Überzeugung: Es gibt keinen wissenschaftlich nachweisbaren Einfluss des Mondes auf uns Erdenbewohner. Ungewöhnliche oder merk würdige Ereignisse auf den Mond zu schieben, wäre eine Möglichkeit, andere Erklärungen, die es dafür geben könnte, werden von Mondgläubigen oft schlichtweg übersehen. Ihm fiele da eine Untersuchung ein, die belegt, dass in den Orten, wo Störche nisten, tatsächlich mehr Kinder zur Welt kommen. Nur, brächte deswegen der Storch die Kinder?

Im Grunde aber versucht der Anti-Parawissenschaftler zu erforschen, was beinahe nicht zu erforschen ist. Denn wie will man Gefühlsveränderungen durch den Mond von Millionen Menschen ergründen? Wir sind einer Flut von Reizen durch unsre Umwelt ausgesetzt, da ist es beinahe unmöglich, einzelne Mondeinflüsse extra herauszusieben. Wenn der Mond, rein wissenschaftlich gesehen, uns vielleicht kalt lassen müsste - muss er es ja nicht! Verhält es sich wie so oft im Leben: Möglich ist vieles, nur beweisen lässt sich nicht alles. Muss vielleicht auch gar nicht...

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