»Wir waren Geburtshelfer«

Karl-Heinz Schubert, Herausgeber der linken Online-Zeitschrift TREND über politische Vernetzung im Netz und die Notwendigkeit von Praxis

  • Lesedauer: 3 Min.
ND: Ihr seit vor 10 Jahren mit der Online-Zeitung TREND ins Internet gegangen. Habt Ihr mit dem Namen damals schon deutlich machen wollen, dass Ihr mit dieser Entscheidung den Trend ins Virtuelle frühzeitig erkannt habt?
Schubert: Der Name hat damit nichts zu tun. TREND hieß die Mitgliederzeitung der Kreuzberger GEW, deren Mitbegründer ich Anfang der 80er Jahre war. Wir hatten mit dem TREND ein über Kreuzberg hinaus bekanntes Forum für gewerkschaftsoppositionelle Positionen geschaffen. 1995 hatte die GEW dann das Weitererscheinen des TREND unterbunden. Willkommener Anlass waren Artikel über den Rassismus unter Schulräten und die Repression gegen Schüler, die sich gegen Nazis gewehrt hatten. Wir durchbrachen die Zensur und gaben den TREND dreimal in Eigenregie heraus. Angesichts des ungeheuren Arbeitsaufwands entschlossen wir uns spontan, die Zeitung ins Internet zu stellen. Obwohl das Internet damals noch in den Kinderschuhen steckte, merkten wir bald, dass sich durch das Internet unser bisheriges Zeitungskonzept ändern würde. In einem World Wide Web bloß Nachrichten aus dem Schulalltag eines Berliner Bezirks und seiner Lehrergewerkschaft zu verbreiten, war irgendwie albern.

Wie sahen die Änderungen aus?
Es ging uns nun nicht mehr um die Publizierung aktueller Meldungen und Aufrufe. Vielmehr sollten linke Gruppen das Internet als Möglichkeit zur Veröffentlichung ihrer Ansichten nutzen und sich dabei miteinander vernetzen. Diese Idee stieß damals zunächst auf breites Interesse. Und so wurden wir Ende der 90er Jahre Internetgeburtshelfer. Zeitweise waren bis an die 20 Gruppen und Initiativen mit und durch uns vernetzt. Doch diese Art der Vernetzung wurde irgendwann überflüssig, weil das Erstellen von Webseiten immer einfacher wurde. Und vor allem konnten die einzelnen Gruppen ohne großen Aufwand an Kosten und technischem Know-how sich eigenständig im Internet präsentieren.

Ist also die Vorstellung der linken Vernetzung im Netz gescheitert?
Von heute aus betrachtet war der Zeitpunkt, an dem wir unsere Ideen zur Vernetzung in die Debatte warfen, denkbar schlecht, weil Ende der 90er Jahre die Linke immer stärker auseinander driftete. Schließlich ist es aber auch immer eine Frage, welcher Anspruch an eine linke Internetpräsenz gestellt wird. Wenn es nur um das Veröffentlichen von Aufrufen und Terminen geht, braucht man keine verbindlichen politischen und organisatorischen Absprachen zwischen den Gruppen. Dafür reichen einige Portalseiten, wo man seine Infos reinstellt - ganz gleich ob moderiert oder unmoderiert. Wo sich eine Vernetzung im Internet dagegen immer noch anbietet, ja meiner Meinung nach sogar dringlich wird, sind theoretische Diskussionen, bei denen das Internet die Rolle der Bibliothek spielen könnte. Jeder könnte dort auf Archive, Quellensammlungen, Datenbanken und auch auf aktuelle Diskussionspapiere zugreifen oder selber solche Texte ins Netz stellen. Auf diese Entwicklungen beziehen wir uns ausdrücklich mit unserem Textangebot. Darauf gründet unser Ansehen in linken Zusammenhängen und der hohe Bekanntheitsgrad des TREND.

Aber die politische Praxis muss demnach doch noch in der realen Welt stattfinden?
Ich war immer davon überzeugt, dass das Internet die politische Praxis jenseits davon nicht ablösen bzw. ersetzen kann.

Fragen: Peter Nowak


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