Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Politik
  • Peter Konwitschny schließt mit der Götterdämmerung den Ring in Stuttgart

Mord beim Betriebsausflug

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 6 Min.

Göttliche Flügel zieren den Helm und schimmernder Waffen Wehr schützt den weiblichen Busen, wenn der nicht gerade dem Helden entgegenwogt, der am liebsten mit dem Schwert, dem selbstgeschmiedeten, herumfuchtelt oder Großgewürm erschlägt. Man bewegt sich zu Pferd durch die Lüfte in Wolkengedünst - archaische Kondensstreifen des Fuhr parks von Walhall. Und man giert nach Gold und geht dafür über Leichen. Die Götterbrut ist da keinen Deut besser als ihre menschlichen Abkömmlinge. Gezeugt wird viel, geliebt selten und wenn, dann mit überwältigendem Feuer, verzehrender Brunst und tödlicher Ausschließlichkeit. Betrug, selbst der unverschuldete, hat tödliche Folgen für den getäuschten Täuscher und dann gleich noch für die Welt. Richard Wagner- Der Ring des Nibelungen. Eigentlich unmöglich heutzutage und zugleich unumgänglich für das Musiktheater. Voll blitzender Dialektik und mit viel-Stoff für s Missverstehen zwischen all dem Weialala und Hojotoho. Da haben schon blaublütige und braunhemdige Herrscher gejubelt und nicht bemerkt, dass Wagners Gereime zum genialen Welttongemälde von ihrem Unter gang handelt. Was das Ganze mit uns heute zu tun hat, haben viele Ringprojekte bewiesen. Joachim Herz, Ruth Berghaus, Patrice Chereau, Herbert Wernicke oder Günter Krämer haben Deutungsangebote gemacht, die Bleibendes zu Tage gefördert haben. Und es muss irgendwie an der Jahrtausendwende liegen, dass sich auch kleinere Häuser landauf landab daran versuchen.

Der Stuttgarter Intendant Klaus Zehelein hat bewusst vier unterschiedliche Regisseure mit dem Ring betraut. Joachim Schlömer,. Christof Nel und Jossi Wieler haben ihre Schmiedebeiträge im vergangenen Jahr geliefert. Und nun hat Peter Konwitschny diesen disparaten und in seiner die einzelnen Teile auslotendenkonsequent gegenwärtigen Haltung doch wieder stimmigen Ring mit der «Götter dämmerung» geschlossen. Und er hat es mit Alpenblick, durch die Luft schwebender Walküre, einem reitenden Helden im Fell-Outfit, planschenden blonden Rheintöchtern, rot flackernder Lamettalohe und Gibichungenhalle gemacht. Aber dennoch gänzlich ohne all dieses Wagnertheaterbrimborium. Man sieht all das in dem sehr vielseitigen Jahrmarktsbühnenkasten von Bert Neumann auf der Bühne. Man kann erstaunlicherweise auch häufig lachen: Wenn Brünnhilde ihren Superman auf dem Küchentisch aufs Kreuz legt, oder wenn der wie von der Leine gelassen mit seinem Steckenpferd Grane das Rheinufer entlang hopst, dem Publikum zuzwinkert oder mit den Rheintöchtern vor dem glitzernden Rhein- Filmpanorama schäkert. Man ist fasziniert von der Gutrune, die verlegen ihr Nackenhaar zwirbelt und ebenso verlegen mit ihrem Fuß auftritt, wenn ihr dieser Mann in Aussicht gestellt wird, der sie nach der Einnahme der Vergessensdroge dann auch gleich an Ort und Stelle bespringt, um dann, wenn er schon auf ihr liegt, Günther (immer den Überforderten zeichnend: Hernan Iturralde) erst mal zu fragen, wie denn die Gute eigentlich heißt.

Aber wenn er dann, selbst getäuscht, in fremder Gestalt Brünnhilde bezwingt, mit Gewalt und der gebietenden Geste der herrschenden und ihren Willen gegenüber den Frauen durchsetzenden Männer, wenn sie in trotziger Gebärde ihren Schlüpfer fallen lässt, als einen Versuch, ihn durch Beschämung fern zu halten. Oder wenn Gutrune wahnsinnig, vor Schmerz nach ihrem Mann sucht, ihn aber nur noch als Erschlagenen findet. Dann wird mit emotionaler Wucht Konwitschnys Durchblick auf den Grund des mythischen Opernpersonals begreiflich.

Der vergebliche Kampf vor allem der Frauen um Liebe - das ist eigentlich immer sein Thema und sein oft variierter Zugang bei der Suche nach dem Menschlichen. Und davon findet er bei seiner Götterdämmerung, die nur scheinbar die Klischees von anno Dunnemals verulkt, überraschend viel. Schon in den Nornen, die anfangs vor dem noch schwarz ver hüllten Bühnenkasten sitzen. Aussteigerinnen am Ende ihrer Weisheit. Die Schicksalsseile sind zum Wollfaden degeneriert, in dem sie sich beim Auftrennen einer Strickjacke verheddern. Und er findet es auch in den erklärten Bösewichtern. Es gehört zu den überraschendsten und beeindruckendsten Szenen, wie er Hagen (sehr solide geerdet: Roland Bracht) zeigt. Der will den Ring und die Weltmacht, um es den Frohen zu zeigen. Er erträgt aber deren Triumph von dem er ja weiß, dass er nur von kurzer Dauer ist, nur schwer. Durch die bevorstehende Doppelhochzeit von Siegfried und Gutrune und von Günther und Brünnhilde ver liert er die Fassung. Sein Leiden an sich und seiner Herkunft bricht aus. Er reißt sich das Hemd auf und nur der martialische Ruf nach seinen Mannen und deren hingedonnerten und gestampften Antworten lassen ihn die Fassung wiederfinden. Auch Günther ist im Grunde von den Verhältnissen überfordert, will den Mord an Siegfried im Grunde nicht und ist tief davon betroffen, als er ihn nicht verhindern kann. Der Trauermarsch, der mit seiner Gewalt anhebt, als Siegfried noch im Todeskampf röchelt, wird zum Schock für alle, die ihn miterleben. Mit ihren Bierflaschen und den gelockerten Krawatten spüren sie, dass sein Tod eine Wende bringt, ein Schlussstrich unter die Hoffnung, aus erstarrten Verhältnissen auszubrechen. So, wie es der Unbekümmerte und nur oberflächlich gezügelte Anarchische verkörperte. Aber er stirbt, da können sie ihn noch so flehentlich berühren. Es ist Schluss mit lustig.

Den endgültigen Schlussstrich zieht jetzt Brünnhilde. Durch die harte Schule der Erniedrigung und Demütigung gegangen, schickt sie alle von der Bühne - den wiederbelebten Günther an der Seite von Hagen. Auch Siegfried darf ihr den Ring geben und dann gehen, wie alle anderen auch. In einem feuerroten Kostüm hält «das wissend gewordene Weib» ihre Ansprache in den erleuchteten Zuschauer räum. Und dann, zum grandiosesten Untergangsfinale in der Oper überhaupt, entlässt Peter Konwitschny die Zuschauer als Zuhörer ganz in die Obhut Richard Wagners. Er zündet seine Holzkastenbühne weder an noch lässt er sie ver schwinden. Der Vorhang fällt vor der Zeit und wird zur Projektionsfläche für Wagners Regieanweisungen. Die Flammen des Weltenbrandes kommen umso lodernder von Lothar Zagrosek und dem Staatsor ehester aus dem Graben. Für die letzten hoffnungsvollen Töne, die Wagner den er griffen staunenden Menschen zuweist, hat der Regisseur keine Bilder. Seine Hoffnung liegt in den Menschen, deren Leiden und Untergang er gezeigt hat.

Dass dies im Wechsel zwischen der theatralisch bis ins Detail ausgespielten Komik und dem Ernst des Endzeitstückes so unterhaltend und betroffen machend funktionierte, ist dem Ensemblespiel der durchweg vorzüglichen Sängerdarsteller zu danken. Albert Bonnema ist kein allzu großes Tenorschwergewicht, aber die Verbindung von Strahlkraft und schwieriger Leichtigkeit, mit der er durch die Szene fegt, ist bewundernswert. Schlichtweg großartig ist, was Luana DeVol als Brünnhilde leistet! Und das mit leuchtend timbrierter und kraftvoller Stimme, vor allem aber mit einer Bühnenpräsenz von genau der menschlichen Tiefe, wie sie Konwitschnys Art, Musiktheater zu machen, braucht.

Nächste Vorstellungen: am 17 und 26. März 2000, Tel.. 0711-20 20 90; e-mail: tickets@staatstheater- stuttgart.de; Ringzyklen vom 12. bis 16. April, vom 20. bis 24. April und vorn 17 bis 25. Juni 2000

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.